Das wilde Lorestan
Das wilde Lorestan

Das wilde Lorestan

Die Felder werden immer grüner, die Mandel-, Apfel- und Aprikosenbäume blühen und unsere Lebensgeister freuen sich wie zwei kleine Kinder. Die Handschuhe und Winterschichten können wir jetzt endlich tiefer verpacken und das An- und Umziehen gestaltet sich jeden Tag unkomplizierter. Heute werden wir Lorestan erreichen. Diese bergige Provinz liegt im Nordwesten des Landes und ist dank ihrer Geografie sehr wasserreich. Bewohnt wird dieser Landesteil unter anderem von den Loren, die die gleichnamige Sprache sprechen. Das Gebiet ist auch die Heimat von Nomaden, die von ihren grossen Schaf- und Ziegenherden leben.

Wir durchqueren ein weiteres Hochtal, lassen uns von einem frenetisch winkenden Mann zum Tee und Eselritt einladen, überstehen einen kleinen Unfall mit einem der gefährlichen jugendlichen Töff Fahrer (kräftige 125iger mit 10 bis 15-Jährigen am Steuer…) und radeln gegen Abend an den Fuss der nächsten Bergkette. Das Tor nach Lorestan. «Don`t go there, mountain people no good”, warnt uns ein Autofahrer und empfiehlt uns, die Hauptstrasse zu nehmen. Das machen wir selbstverständlich nicht, sondern wir suchen uns ein nettes Übernachtungsplätzchen in einer Fruchtplantage am Fuss der Berge. Die Fahrt am nächsten Tag hoch ins Tal gefällt uns ungemein und die «No good people» winken uns fröhlich aus ihren Autos zu, schenken uns beim ersten Stopp frisches Brot und einen erfrischenden Joghurt Drink, knipsen Selfies und stellen uns interessierte Fragen.

Dieser Streckenabschnitt ist ein wahres Belohnungsprogramm. Mit jedem Fahrtag wird es deutlich wärmer und unser übliches Verhältnis von Kilometer zu Höhenmeter wird deutlich unterschritten. Im Laufe der nächsten Woche werden wir von den Iran-üblichen 2000 Höhenmetern auf knapp 200 runtersausen. Bald erreichen wir das quirlige Khorram Abad und hier können wir endgültig auf unser Sommertenue umsteigen. Im Iran bedeutet das: Dünne, lange Hosen und ein T-Shirt in meinem Fall mit einem dünnem Hemd darüber. Louie fährt weiterhin im T-Shirt und auch ich ziehe wenige Tage später das Hemd nur noch in Städten und Dörfern an. Während dem Fahren ersetzt der Velohelm das Kopftuch und so lässt es sich eigentlich ganz gut leben.

In Khorram Abad ist was los! Die Stadt ist wunderbar grün und die Menschen sind unterwegs, denn es ist Nowruz Ferienzeit. Während zwei Wochen reisen die Iraner in ihren Familienclans kreuz und quer durchs ganze Land und besuchen dabei ihre Verwandten. Täglich wird gepicknickt und praktisch unter jedem Baum trifft man eine Familie an. Picknick im Iran ist eine grosse Sache: Das grosse Sofra-Tuch wird ausgerollt und auf dem mitgebrachten Gaskocher werden die vorgekochten Speisen aufgewärmt, einfache Gerichte frisch zubereitet, Tee gekocht oder die Kohle für die Hukka (Wasserpfeife) erhitzt. Nicht selten wird auch ein kleines Feuer entfacht, auf dem Fleischspiesse gebraten werden. Es wird gegessen, Witze werden gerissen und zum Verdauen wird im Anschluss gerne mal eine Runde auf den mitgebrachten Kissen gedöst.

Für unsere Mittagspause wählen wir uns einen ruhigeren Park am Stadtrand aus, wo wir uns zum ersten Mal seit langem ein Plätzchen im Schatten suchen müssen. Unser Mittagspicknick ist jeweils frisch und gesund: Hier im Iran besteht es standardmässig aus Naan (Fladenbrot), Joghurt, Gurken, Tomaten und wird wahlweise ergänzt mit Frischkäse, Rahm (ja, wirklich ), Nüssen und frischen Kräutern.

Die Familie nebenan ergänzt unser Buffet bald mit Orangen, Äpfeln und einer Nussmischung und später gesellt sich ein Pärchen zu uns, welches und mit Chai und Keksen und einem lustigen Gespräch verwöhnt.

Wir tun, was wir in Städten so tun: Wir lassen uns durch die Strassen treiben, plaudern mit wildfremden Menschen, laden in einem Kiosk die nötigsten Akkus, degustieren das Snackangebot (in Khorram Abad sind es weisse Brötchen, gefüllt mit gebratenen Kartoffeln), schlendern durch den Basar und nehmen die lebendige Stimmung in uns auf.

Erst am Nachmittag verlassen wir die Stadt und kommen sagenhafte zehn Kilometer weit, bevor uns Hesam an den Strassenrand winkt. Der riesige Mann spricht zwar kaum Englisch, jedoch ist uns sein breites Grinsen sofort sympathisch und als er uns Bilder von seiner Familie bei einer Fahrradtour zeigt, hat er uns im Sack. Wir haben keinen Stress und eine Dusche nötig und so stossen wir unsere Räder bald in den Innenhof eines hübschen, einfachen Hauses. Hier lebt die 95-jährige Grossmutter, die von Hesams Eltern täglich umsorgt wird. Die Grossmama ist eine fitte, fröhliche Frau, die sich über unser Kommen und das damit einhergehenden Familientreffen ehrlich freut. Die Aussicht vom Haus aus ist beeindruckend: Aus der landwirtschaftlich genutzten Ebene wächst eine beeindruckende Bergkette hervor, die in der Abendsonne rot leuchtet. Hinter dem Haus hat die Familie verschiedene Fruchtbäume gepflanzt, die allesamt in Blüte stehen. Hübsche Vögel flattern über die Felder, irgendwo bellt ein Hund, irgendwo ruft ein Muezzin, wir trinken Tee, sind frisch geduscht und fühlen uns richtig wohl.

Später am Abend trudeln Hesams Frau, die zwei Kinder und seine Schwester ein. Die jüngere Schwester spricht gutes Englisch, da sie eine Auswanderung nach Kannada anstrebt. Um diesen grossen Traum zu verfolgen, arbeitet sie Zusatzschichten und büffelt die Sprache. Bald geht es geschäftig zu und her: Es wird Reis aufgesetzt, Gemüse geschnippelt und Fleisch für die Schischs (Spiesse) mit Safran- und Zwiebelwasser mariniert. Draussen auf der Terrasse wird ein kleiner Kebabgrill eingefeuert, es wird munter geplaudert und gescherzt und uns läuft schon längstens das Wasser im Mund zusammen.

Wir speisen wie Könige an diesem geselligen Abend und fühlen uns wunderbar wohl.

Die weitere Fahrt Richtung Pol-e Dhoktar führt uns entlang dem Fluss Kashkan durch eine spektakuläre Landschaft. Der Fluss hat sich einen tiefen Canyon geschaffen und die blaugraue Wassermasse braust in engen Kurven vorbei an steilen Felswänden, Feldern und Fruchtbäumen. Büsche blühen in knalligem Pink und zu unserer grossen Freude können wir dieses Panorama mehrheitlich bei gemütlichen Abfahrten geniessen.

In Pol-e Dhoktar bewundern wir die Überreste der mächtigen gleichnamigen Brücke, die einst während der Herrschaft der Sassaniden um 250- 650 n.Chr. erbaut worden war.

Das kleine Städtchen schaut aus wie eine Wild-West-Stadt. Eine breite Strasse mit den wichtigsten Läden auf beiden Seiten führt durch den Ort, Jungs sitzen auf grossen Motorrädern, Männer tragen die typischen Pludderhosen der Landbevölkerung, die wenigen Frauen sind mit dem schwarzen Tschaddor unterwegs und winken mir scheu zu. Wir füllen unsere Vorräte an Lebensmitteln und Wasser auf und radeln aus der Ortschaft raus, in der Hoffnung, noch einige Kilometer zu schaffen.

« of 2 »

2 Comments

  1. Hedi Künzli

    Hallihallo Simone und Louie,
    vielen Dank für eure faszinierenden Berichte! Mit grosser Freude und Interesse, wir googeln jeweils eure beschriebenen Orte, verfolgen wir die gigantische Reise! Weiterhin viel Glück und gute Kontakte zu wildfremden Menschen!
    Herzlich grüssen
    Aldo und Hedi Künzli

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert