Wir erreichen gegen Abend ziemlich ausgehungert Dorud und werden wunderbarerweise von Sahra und ihrer Familie zur Übernachtung eingeladen. Der kleine Bruder Hasan schliesst Louie schnell in sein Herz und es ist köstlich zuzuschauen, wie sich die Beiden in ihrer jeweiligen Sprache gegenseitig unterhalten.
Sarah gibt mir Einblick in eine traurige Realität im Iran: Mit ihren 28 Jahren war sie bereits verheiratet, jedoch lebt sie getrennt von ihrem Mann wieder bei ihren Eltern. Offiziell gilt sie jedoch nach wie vor als verheiratete Frau. Da sie ihren Mann verlassen hat und nicht er sie, hat sie keine Chance, sich gesetzlich scheiden zu lassen. Dieses Recht ist in der islamischen Republik den Männern vorbehalten. Der gewalttätige Expartner und seine Familie machen nun Sahar das Leben schwer; verbreiten unrechte Gerüchte über sie, und gelegentlich versucht er sie auch abzupassen. In so einer Situation kann der schwarze Tschador doch ein ganz nützliches Kleidungsstück sein…
Sahar und ihre Mutter verwöhnen uns trotz Ramadan mit einem wunderbaren Abend- und Morgenessen und es fällt uns schwer, die liebvolle Familie zu verlassen. Doch wir haben etwas Zeitdruck: Bald läuft unser Iranvisum ab und wir müssen rechtzeitig Isfahan erreichen, um es für einen weiteren Monat zu verlängern.
Für einmal bläst uns den Wind in den Rücken und wir kommen zügig voran. Erstaunt stellen wir am Abend fest, dass wir knapp 100 km und über 1000 Höhenmeter geschafft haben. Der Abend und die Nacht sind unerwartet kühl und erst am nächsten Morgen stellen wir fest, dass wir uns wieder gut über 2000 Metern befinden! Echt krass dieses Hochplateau. Die Landwirtschaft, Besiedlung und das Landschaftsbild würde das nie vermuten lassen. Die Kälte ist so aber bestens erklärt und wirklich böse sind wir darüber nach unserem heissen Abstecher in die tieferen Gebiete auch nicht.
Der letzte Abschnitt vor Ishfahan führt uns während gut zwei Tagen dem gewundenen Flusslauf des Zayanderud entlang. Der Fluss hat sich ein tiefes, wunderbar grünes Tal in die sonst karge Hochebene gegraben und ermöglicht sogar den Anbau von Reis!
Die Einfahrt in die Grossstadt gestaltet sich aber eher unangenehm: Zwar haben wir weiterhin Rückenwind, jedoch bleibt uns nur die Fahrt auf der Hauptstrasse, die irgendwann zu einer Autobahn wird. Der Verkehr ist dicht, schnell und nervaufreibend und völlig erschöpft fahren wir am späten Nachmittag bei unserem Warmshowerhost Reza vor.
Nun sind wir für einige Tage beschäftigt mit Visabüro (sehr mühsam!), Routenplanung und Stadt erkunden.
Das Umland von Isfahan ist sehr trocken und mutet schon etwas wüstenhaft an. Sandfarbene Felsen mit bizarren Formen rahmen die Stadt ein und Bäume und Grün wächst nur dort, wo Bewässerungsleitungen gelegt wurden. Es ist daher einigermassen überraschend, wie grün die Stadt ist. Wir fahren durch endlose Alleen, durch riesige Parkanlagen, Wasserspiele und Blumenpflanzungen. Nur- vom riesigen Fluss Zayanderud, der einst durch die Stadt geflossen ist, ist nur noch ein breites, trockenes Flussbett übrig. «Der Fluss wird abgeleitet», erklärt uns Reza. «In riesigen Rohren wir das verbleibende Wasser nach Yazd und in andere Wüstenstädte geleitet», meint er. Offenbar führt der Fluss ab und zu tatsächlich noch Wasser, aber vermutlich kommt das nur noch in immer kleineren Zeitfenstern im Winter und Frühling vor. Eine Stadt von der Grösse von Isfahan mit all ihren wunderbaren Bäumen und Pärken verschluckt wohl locker einen ganzen Fluss…
Isfahan ist seit Tabriz unsere erste Grossstadt und wir müssen uns erst wieder etwas an den Lärm, die anarchistische Fahrweise, die Kreuzungen, die Menschenmassen und visuellen Ablenkungen gewöhnen. Trotzdem ist es ein tolles Gefühl, mit unseren unbeladenen Rädern diese geschichtsträchtige Stadt zu erkunden. Ein kleiner Wehmutstropfen ist es, dass während dem Ramadan sämtliche Restaurants und Snackstände tagsüber geschlossen bleiben. So fällt eine unserer Lieblingsbeschäftigungen- uns durch das lokale Streetfoodangebot zu knabbern- weg. Stattdessen kaufen wir uns unser übliches Picknick zusammen: Brot, Joghurt, frisches Gemüse und suchen uns in einem Park eine blickgeschützte Ecke, um unsere knurrenden Mägen zu füllen.
Selbstverständlich verbringen wir einige Zeit auf und um den riesigen Naghshe Jahan Square und bewundern die persische Baukunst aus der Zeit der Safawiden. Eingerahmt wird der langgezogene Park von einem Souvenir-Bazar, in dem sämtliche Händler mindestens fünf Sprachen zu sprechen scheinen. Hier werden wir nicht mehr aus reinem Interesse angesprochen, sondern alle Gespräche münden früher oder später in ein: «I also have a shop very close from here. We sell beautiful carpets and kilims. Do you want to see it?” Nein, wollen wir nicht, very sorry. Noch viel besser gefallen uns die weniger bekannten Moscheen der Innenstadt. Hier bleiben wir ungestört bzw. treffen wieder auf Iraner ohne Verkaufsdruck. Reza nimmt uns mit auf eine lange Ausfahrt in die ausgedehnten Stadtgärten. Hier wurden einst wie heute Lebensmittel für die Versorgung von Isfahan angebaut. Die alten Strukturen der Bewässerungskanälen sind weitgehend erhalten und es scheint unglaublich, dass so eine ausgedehnte, ursprüngliche Landwirtschaftsfläche in unmittelbarer Nähe zur Grossstadt existiert.
Schliesslich können wir unser Visum auf der Polizeistadion abholen und wir machen uns bereit für unseren nächsten Streckenabschnitt. Wir haben beschlossen, die berühmte Wüstenstadt Yazd auszulassen und uns mit dem vorgelagerten Wüstenstädtchen Varzaheh zufrieden zu geben. Eine schnurgerade und ereignislose Strasse führt uns in einer langen Tagesetappe (125 km!) direkt dorthin. Die Gegend ist flach und die Temperaturen warm. Das sandfarbene Städtchen besitzt einen ganz besonderen Charm. Die Häuser wirken alt und traditionell und wir erspähen einige der Windtürme, die die Menschen in Zeiten vor Elektrizität und Air Condition zur Kühlung benutzt haben. Durch eine turmartige Dachkonstruktion wird der Wind in die Wohnräume geleitet und die stetige Briese macht die Hitze etwas erträglicher. Besonders gut gefällt uns die alte Moschee. Wunderschön schlicht und trotzdem in edler Ausführung bietet sie einen ruhigen, kühlen Ort zur Besinnung. Ein Junge rezidiert gerade mit seinem Freund einige Suren aus dem Koran. Seine klare Stimme schwingt wunderbar die weiss verputzten Wände empor und der Stimmige Klang verzaubert uns.
Hier beginnt die Wüste. Unmittelbar an der Stadtgrenzen gibt es echte Sanddünen, die touristisch gut genutzt werden. Wir schauen uns das Spektakel nur von Weitem an und nach einem kurzen Stopp bei einer alten, kamelbetriebenen Mühle fahren wir hinein in das trockene Abenteuer. Die Wüste ist definitiv faszinierend und keineswegs eintönig. Mal wirkt sie leblos, dann wieder wird sie von dornigen Büschen getupft um wenig später sogar einzelnen, niederen Bäumen Lebensraum zu bieten. Wir bewundern die Pflanzen, die trotz der Trockenheit hier irgendwie zur Blüte kommen und der Einöde Farbtupfen verleihen.
Wir haben glück und gegen Abend kommt eine kleine Oase in Sicht. Einige alte Karawansereien befinden sich hier und erinnern daran, dass auf dieser Route schon vor langer Zeit Händler und Reisende verkehrten. Wir stellen unser Zelt in einem windgeschützten Innenhof der Ruine auf und freuen uns über diesen besonderen Übernachtungsort.
In der nahen Siedlung füllen wir Wasser und Lebensmittel nach und fahren auch heute den ganzen Tag in der Einöde. Heute bläst uns der Wind entgegen und gestaltet das Fahren etwas strenger. In dieser Weltengegend wird offensichtlich weisser Marmor abgebaut. Den ganzen Tag werden wir von grossen Lastern überholt, auf deren offenen Ladeflächen einzelne Steinblöcke festgezurrt sind. Wir vermuten, dass diese Strasse in erster Linie des Marmorabbaus wegen existiert. Die Suche nach einem geeigneten Zeltplatz gestaltet sich etwas schwierig heute. Der Wind ist so stark, dass an Zelten kaum zu denken ist. Mit letzter Kraft steuern wir einen der Marmorbrüche an und tatsächlich entdeckt Louie nach einiger Suche eine einzige windstille Ecke. Übernachten im Marmorbruch mit grandioser Aussicht- Gar nicht übel nach einem Tag in der prallen Sonne.