Eine wunderbare Morgenfahrt durch die Halbwüste und einen gezielten Autostopp bringen uns zurück in die Zivilisation. Die Hügel und Weiten sind noch immer staubtrocken und mehrheitlich kahl, doch schon werden wieder stellenweise Granatapfel und andere Fruchtbäumchen angepflanzt. Ein windiger Anstieg bringt uns zu unserem Tagesziel Eghlid. Das vermeintliche Dörfchen entpuppt sich als lebendige Kleinstadt, die als kleine, grüne Oase keinesfalls vermuten lässt, wie trocken und lebensunfreundlich die nahe Umgebung ist. Hier fliesst plötzlich wieder Wasser und die Stadt besticht mit wunderbar grünen Alleen, Parks, kleinen Wäldchen aus Baumnussbäumen und unglaublich freundlichen Menschen. «Das Wasser fliesst unterirdisch aus Hamedan hierher», behauptet Mohammed später, als er uns zu der geheimnisvollen Quelle im Stadtpark führt. Kristallklares, kaltes Wasser sprudelt hier aus dem Boden und wird in unzähligen Bächen und Kanälen durch das Städtchen und die in die umliegenden Felder geleitet. Einen unterirdischen Fluss aus Hamedan? Das kommt uns nun doch etwas unglaublich vor, denn Hamedan liegt rund 800 Kilometer Luftlinie entfernt. Auch das Internet löst dieses Rätsel vorerst nicht und so geniessen wir einfach das viele Grün und die unzähligen herzlichen Begegnungen.
Wir erreichen kaum die Ortsgrenze, als uns Mohammed energisch zu seinem Traktor winkt. «Stay in my house tonight», tippt er hastig in sein Handy. Wir können eine Dusche gut gebrauchen und so lassen wir uns von dem einnehmenden Mann gerne einladen. Bald stellt sich heraus, dass er offenbar mehrere Häuser besitzt und wir eine riesige Wohnung für uns haben. Wir sind etwas unsicher über die Konditionen dieser Einladung, doch bald wird klar: Bezahlung kommt gar nicht in Frage, Frau und Kind sind auf Familienbesuch anderswo und darum werden wir heute Abend zusammen ins Restaurant gehen; Wiederrede zwecklos. Zwei Stunden später holt uns Mohammed in Ausgangskleidung zum Abendessen ab. Zuerst zeigt er uns stolz seine Stadt. Es ist bereits am Eindunkeln, doch Mohammed lässt sich nicht lumpen. Wir fahren kreuz und quer durch das Städtchen von der Zuckerfabrik bis zur genannten Quelle und Mohammed zeigt sein Talent im Multitasking: Er fährt Auto, tippt Sätze in das Übersetzungsapp, und verwünscht den «Turbanmann», der Iran bloss Schaden bringt und überhaupt zu nichts taugt. Er deutet energisch einen Turban an, formt seine Hand zum Gewehr und macht Schiessgeräusche. «No good man!», fügt er entschieden an.
Mohammed ist keineswegs allein mit seiner dezidierten Meinung. Wohin wir kommen, die Leute beschweren sich lautstark über das politische Regime im Iran, welches allen das Leben schwierig macht. Teilweise sind wir überrascht über die klaren Meinungen, die öffentlich ausgesprochen werden. Auch wenn das Portrait des «Turbanmannes» omnipräsent ist, zu mögen scheinen ihn die Menschen, die wir treffen selten. «Iran people very good, politic not good», ist ein Statement, dem wir häufig begegnen. Wer Kritik übt und von den falschen Ohren gehört wird, landet hier schnell mal im Gefängnis. Politische Gegenbewegungen werden im Keim erstickt und so gärt und modert der Unmut im Heimlichen vor sich hin.
Unsere Tour durch Eghlig endet vor einem ziemlich edel aussehenden Restaurant. Unsere Sorge, dass sich Mohammed finanziell völlig für uns vorausgabt bleibt glücklicherweise unbegründet. Trotz dem edlen Anschein, scheint alt und jung hier zu speisen und so geniessen wir das ungewohnte Fleischbouquet, welches uns Mohammed zusammenbestellt.
Am nächsten Morgen erscheint Mohammed wieder in seinem Bauern Outfit und macht sich auf, Bäumchen zu pflanzen. Wir packen ebenfalls und pedalen schon bald über den bisher höchsten Pass Timar Jan unserer Reise. Da wir uns nach wie vor hoch oben befinden, sind die 2800 Meter bald geschafft und wir werden mit der Abfahrt ins nächste Tal belohnt. Heute Nacht sind wir schon wieder eingeladen. Unser Gastgeber hat uns gleich nach der Ortsgrenze von Eghlid mit viel Witz und Charme überzeugt, heute Abend bei ihm und seinen Eltern zu übernachten. Auch er heisst Mohammed und erzählt uns am Abend aus seinem Leben. Er ist alt genug, um sich an die Zeit vor der Revolution zu erinnern und gemeinsam mit seinem Vater von den alten, besseren Zeiten zu schwärmen. Nach der Revolution kam der Krieg mit dem grossen Nachbar Irak und auch sein älterer Bruder machte sich auf, um für das Vaterland zu kämpfen. Der Bruder kehrte nie mehr nach Hause zurück und es war klar, dass der erst 16 Jährige Mohammed nun in den Krieg zog, um seinen Bruder zu rächen. «I needed to kill Irakis», meint Mohammed dazu. Nach dem Krieg wurde er von der Familie dazu gedrängt, die verwitwete Frau des Bruders zu heiraten, was er widerwillig tat. «She was like my sister, I could not love her”, beklagt er sich. Eine Tante empfahl zur Rettung der Ehe ein Kind zu zeugen, was ebenfalls geschah, gefolgt von einer jahrelangen Opiumabhängigkeit, die Mohammed den Schlaf raubte und ihn fünf Jobs gleichzeitig machen liess. Irgendwann hatte der Körper genug, die Ehe wurde geschieden, der Sohn ein Fremder und heute unterrichtet Mohammed Englisch, pflegt seine betagten Eltern und träumt von einem anderen Leben. Die Sucht hat er zwar schon länger hinter sich, doch noch immer wirkt er fahrig und getrieben. Er ist begeistert von unserer Art zu reisen und wie so viele, beneidet er uns dafür.
Lebensgeschichten, die wir uns kaum ausmalen können. Krieg, Familientragödien. Politische Umstände, die ein Weiterkommen im Leben erschweren oder verunmöglichen. Wir können nur dankbar sein und den Menschen, denen wir begegnen mit Empathie, Geduld und Interesse begegnen.
Nun tauchen wir endgültig ein in die Naturpracht von Fars. In den nächsten Tagen bringt uns jede Etappe zu einem wunderbaren Ort mit Wasserfällen, Wäldern und romantischer Landwirtschaft. Trauben wachsen in niederen Büschen neben Granatapfelsträuchern, Aprikosen- und Apfelbäumen. Überall gibt es Wasser in Hülle und Fülle und eindrückliche Felsflanken und Hügelketten rahmen die Landschaften ein.
Wir entdecken sagenhafte Schluchten (Tange Boragh und Behesht-e-Gomshode) wo wir je eine Nacht verbringen. Wir sind tief beeindruckt von den Dimensionen dieser Schluchten, der Wildheit und der Pflanzen- und Vogelwelt, die wir hier antreffen.
Auch an warmen menschlichen Kontakten mangelt es nicht. In Tange Boragh entpuppt sich eine aufgedrehte Gruppe junger Männer als ganz sympathische Zeitgenossen und wir verbringen einen gemütlichen Abend am Lagerfeuer mit ihnen.
Hier lernen wir auch Afshin kennen. Der drahtige Outdoor-iraner lebt und arbeitete vor der Coronazeit in Kanada und ist für die Dauer der Pandemie in den Iran geflüchtet, wo das Leben deutlich entspannter zu- und her ging; auch während der schlimmsten Zeit. In einigen Tagen werden wir ihn in Shiraz wiedertreffen, wo wir uns für einige wunderbare Tage bei seiner Familie zuhause fühlen dürfen.
Im Behesht-e-Gomshode oder «Lost Paradise» sind wir neben den «Ranger_Marshmallows» die einzigen Camper und die drei jungen Teheraner laden uns spontan zum Morgenessen bei ihrem Zelt ein. Die zwei Jungs und eine Frau kennen sich schon länger und ziehen als Outdoorbuddies möglichst oft gemeinsam los, um die wunderbaren Orte in Irans Natur zu geniessen.
Zwei weitere Tagesetappen bringen uns schliesslich nach nach Shiraz; die Stadt der Dichter, Blumen und Gärten.