Die kurze Morgenfahrt bis zur Grenze versöhnt zumindest mich etwas mit Indien. Auf der kleinen Nebenstrasse gibt es kaum Verkehr, einige bimmelnde Pferdefuhrwerke kreuzen unseren Weg uns und die Morgensonne zaubert ein warmes Licht über die bunten Häuschen mit ihren Gärten. Am Wegrand wachsen Mango- und Litschibäume, Papaya- und Bananenstauden. Kühe und Ziegen werden zum Grasen ausgeführt und zeitungslesende Männer sitzen vor den Teestuben.
Die Zufahrt zur Grenze wird je länger desto schmaler, und bietet schliesslich nur noch Platz für zweirädrigen Verkehr und Fussgänger. Wir überqueren eine lange Brücke über einen Damm und finden uns im äusserst friedlichen Grenzgebiet wieder. Auch hier weidet leicht internationales Vieh und die kleinen Grenzbüros finden wir nur dank den freundlich winkenden Beamten. Nach einigem Papierkram werden wir aus Indien ausgestempelt und unsere Pässe werden von diversen Soldaten aufmerksam durchgeblättert; wohl mehr aus Interesse als Notwendigkeit.
Auch auf der nepalesischen Seite geht es gemächlich und entspannt zu. Zwischenzeitlich bricht noch ein kleiner Sicherungsbrand aus, der aber zum Glück gelöscht werden kann und die Computer nicht zum Abstürzen bringt. Mittlerweile haben auch die nepalesischen Behörden auf IT umgestellt und wir müssen den Beamten unsere ausgefüllten Corona- und Einreiseunterlagen vor Ort zumailen. Als wir endlich unsere Visakleber gekriegt haben, ist es bereits 11 Uhr und entsprechend heiss. Unserer angeschlagenen Gesundheit zuliebe gönnen wir uns nochmals ein Zimmer und nehmen uns für den nächsten Tag einen frühen Start vor.
«686 km bis nach Kathmandu», verkündet ein Strassenschild. Das ist nun wirklich nicht mehr weit! Endlich in besserer Verfassung treten wir früh am nächsten Tag in die Pedalen und finden uns auf der entspanntesten Hauptstrasse wieder, die wir uns vorstellen können. Kaum Verkehr, dafür umso mehr Fahrräder kommen uns hier entgegen. Im Terrain fährt man und frau Velo!
Gemütlich gondeln wir durch die saftige Landschaft. Die Häuser sind zum Teil noch sehr traditionell aus Lehm, Holz und Palmblättern gebaut und erinnern an Szenen aus dem Dschungelbuch von Kippling. Immer wieder führt die Strecken über viele Kilometer durch wilden Wald mit Wildtierwarnungen und Termitenhügel am Strassenrand. Der erste Nationalpark lässt nicht lange auf sich warten. Brücken führen über breite Flussläufe in denen zahlreiche Wasserbüffel baden. Heute verbringen wir unsere hitzebedingte, lange Mittagspause unter einer Brücke. Das Flusswasser ist zwar niedrig und warm, taugt aber trotzdem für gelegentliche Abkühlung. Wir bleiben nicht lange allein und lernen einige Kinder und Jugendliche aus den nahen Siedlungen kennen. Während die Jüngeren mit selbstgemachten Angelruten kleine Fische aus dem Wasser fischen, sind die Älteren schwerbeschäftigt mit «Tik Tok». Diese chinesische Selbstvermarktungsplattform scheint hier DIE App zu sein. Wir teilen unsere Snacks, viel Gelächter und verbringen einige friedliche Stunden im Schatten.
Heute wollen wir endlich wieder zelten! Es kommt nur ein Plätzchen in Menschennähe in Frage; das hohe Gras und der Dschungel sind wenig einladend. Wir halten also Ausschau nach einem Haus mit freundlichen Bewohnern und etwas Platz rundherum und werden bald fündig. Mein nepalesisch reicht aus, um uns zu erklären und bald stellen wir unser Zelt neben dem offenen Kuhstall auf. Im Haus lebt ein älteres Ehepaar mit ihrer Enkeltochter. Die Eltern arbeiten in einer weiter entfernten Stadt und schauen nur alle paar Wochen vorbei. Ausserdem tollen noch diverse Kinder aus der Nachbarschaft unter dem Mangobaum im Hof herum und wir plaudern auf English und Nepali mit Nachbarsfrauen und den älteren Mädchen. Als wir unsere Küchenutensilien auspacken, fühle ich mich bald wie in einer Kochshow. Interessiert wird verfolgt, was und wie wir kochen. Unser Essen ist einfach: etwas Linsen, Reis und Kürbis, alles in nur einem Topf sind unser Abendessen. Endlich mögen wir beide wieder unsere gewohnte Menge essen!
Wir fühlen uns wieder gesund, wohl und entspannt und trotz der Temperatur und den Moskitos spüren wir, dass wir wieder zurückgefunden haben in unseren Reiserhythmus.
Der nächste Tag bringt lange Waldfahrten, viele netten Begegnungen am Strassenrand und eine wunderbare Mittagspause: Wir erreichen den mächtigen Karnalifluss. Eine eindrückliche Hängebrücke überquert die Wassermassen und bildet den Eingang in den Bardia Nationalpark.
Wir richten uns am schattigen Flussufer mit der Hängematte ein und springen immer mal wieder in den wunderbar kalten Strom. Die Jungs und Mädels aller Altersgruppen aus der Siedlung Chisapani («Kaltwasser») sind absolute Profis und verbringen den ganzen Nachmittag in und am kalten Nass. Bald werden wir von zahlreichen Kindern umringt. Wir teilen unsere Snacks mit dem «Rudel» und beobachten beeindruckt, wie einer der Anführer die Runde macht und allen Kindern fair und redlich die Fruchtstücke und Dahlchips verteilt. Trotz dem Geplapper dösen wir etwas vor uns hin, kühlen uns immer mal wieder im Fluss ab, beobachten die Spiele der Kinder und lassen den Nachmittag vorbeiziehen. Wir wollen hier irgendwo übernachten, doch es ist etwas weniger einfach ein Plätzchen zu finden als gehofft. Gegen Abend gönnen wir uns in einem der zahlreichen offenen Küchen vor der Brücke ein leckeres Dahlbath (Nationalgericht von Nepal; Reis, Dahlsuppe und verschiedene Gemüse Curries) samt frischem Fisch und beobachten etwas besorgt, wie plötzlich sehr dunkle Wolken aufkommen. Sprachkenntnissen sei Dank, bietet uns der freundliche Wirt an, auf dem Dach seines Hauses zu übernachten. Als wir etwas später versuchen, unser Zelt auf dem gedeckten Flachdach aufzubauen, werden unsere Versuche aber von wilden Sturmböen verunmöglicht. Glücklicherweise gibt es ein leeres Zimmer, welches wir im Regenfall benutzen dürfen und es bleibt uns nichts anderes übrig, als das Angebot anzunehmen. Der Sturm ist heftig und dauert an. Die Temperaturen kühlen die Luft wunderbar ab, doch an Zelten ist heute nicht zu denken.