Der nächste Morgen weiss nichts von einem Sturm und früh überqueren wir die grosse Hängebrücke, um den Bardia Nationalpark zu betreten. Kaum sind wir wieder auf festem Boden, schliesst sich der dichte Wald um die Strasse und nur wenige Kurven später klärt uns ein Soldat an einem Checkpoint darüber auf, dass wir für die nächsten 15 Kilometer nur mit Begleitschutz weiterfahren dürfen. Offenbar kommt es hier jedes Jahr zu teilweise tödlichen Tigerangriffen. Aufgefressene Ausländer machen sich da besonders schlecht. Wir dürfen unsere Räder auf einen angehaltenen Pick-up laden und geniessen die Fahrt auch so. Tiger und Elefanten erspähen wir keine, dafür einige hirschartige Wesen und viel Dickicht. Bald sind wir aus der Tigerzone raus und werden wieder in unsere Freiheit entlassen. Kleine Dschungeldörfchen und Wald wechseln sich auch heute ab und gegen Abend treffen wir in einer grösseren Ortschaft ein. Als Übernachtungsort kommt auch heute nur etwas mit «Familienanschluss» in Frage. Wir lassen uns von unserem Bauchgefühl treiben und fahren gemächlich einer Nebenstrasse entlang, unsere Zeltplatz-Antennen eingeschaltet. Vor einer Schule schliesslich bleiben wir stehen und kommen mit den ersten Locals ins Gespräch. Alle sind neugierig und es dauert nicht lange, bis wir von einer grösseren Menschengruppe umkreist werden. « Ihr könnt in der Schule übernachten», meint einer. Verschiedene Natels werden gezückt und die vermeidlichen Nummern von Lehrern und dem Schulleiter eingetippt. «Ein Schlüssel ist auf dem Weg», heisst es. Doch wir sind der Sache nicht so ganz sicher. Mittlerweile ist auch noch ein gut angetrunkener Typ mit zahlriechen roten Tikkas auf der Stirn eingetrudelt und stellt sich in gebrochenem English als der neue Chef des Ortes vor. Heute seien Wahlen gewesen, meint er. «The people vote for the right man!», ruft er freudig aus und reisst die Arme in die Höhe. Die Umstehenden lachen und jubeln im zu. «Today we celebrate! We dance!», fügt er an und geht dann zu einem langen Vortrag über, den vor allem Louie zu erdulden hat.
Es ist am eindunkeln und langsam drängt die Zeit, einen geeigneten Platz zu finden. Der Tika Mann riecht nach Schnaps und sein Vortrag hilft uns bezüglich Zeltplatzes nicht wirklich weiter. Ich teile meine Bedenken einigen vernünftig aussehenden Jungen Männern mit. Eine fröhliche Frau winkt uns schliesslich zu ihrem nahen Haus und sie und die Nachbarn geben uns zu verstehen, dass wir irgendwo hier campieren dürfen, «Samassia tschaina- no problem». Gut, soweit so gut. Der quasselige Politiker labert immer noch Gestenreich auf Louie ein und ich darf mich mittlerweile als unfreiwillige Tik Tok Nebendarstellerin versuchen. Die Mädels aus der Nachbarschaft wollen alle einen Clip mit der weissen verschwitzten Velofrau und so lächle ich in diverse Handykameras, wippe meine Teetasse im Takt und mache das Spielchen mit.
Irgendwann schaffen wir es, uns von der versammelten Nachbarschaft loszureissen und in etwas kleinerer Formation im nahen Bewässerungskanal eine lauwarme Abkühlung zu geniessen. Selbstverständlich springen wir gleich in unserer verschwitzten Velogarnitur ins Nass.
Mittlerweile ist es dämmrig und die Stimmung ist friedlich und entspannt. Der Ort scheint ein beliebter Bade- und Waschplatz der Nachbarschaft zu sein. Während die meisten Frauen und Mädchen am Ufer sitzen und sich unterhalten, springen die Jungs von einer kleinen Brücke, schrubben sich nach der Feldarbeit die Erdklumpen von den Beinen oder schamponieren sich mal schnell die Haare ein.
Wir stellen unser Zelt auf dem Flachdach des einfachen Betonbaus auf, schmeissen unseren Kocher an und geniessen unsere VIP Plätze, um den herannahenden Festumzug zu bestaunen. Auf Traktoren sind grosse Boxen angebracht, die Musik dröhnt und die Menschen tanzen zu Ehren der maoistischen Partei. Fast schon eine nepalesische Street-Parade.
Vergeblich hoffen wir auf eine kühlende Briese und legen uns müde ins stickige Innenzelt. Einschlafen bei solchen Temperaturen ist gar nicht so einfach, doch irgendwann dämmern wir weg. Aufgeweckt werden wir von angenehmen Windböen und einem zuckenden Himmel. Diese Vorzeichen können wir einordnen und wir zögern nicht lange, schälen uns aus dem Zelt und beginnen hastig, unser Gepäck auf der schmalen, gedeckten Dachtreppe in Sicherheit zu bringen. Jede Minute nehmen die Windböen an Heftigkeit zu und bald fliegen uns Plastikstühle und Zeltstangen um die Ohren. Gerade rechtzeitig schaffen wir es unter das schützende Treppendach. Blitze krachen, Wassermassen rauschen auf die Erde und wir klettern über die geretteten Gegenstände ins Untergeschoss. Was nun? Natürlich sind wir nicht die Einzigen, die vom Sturm geweckt wurden und dankbar lassen wir uns in ein leeres Zimmer winken. Zwar regnet es durch die Fensteröffnung kräftig rein, doch dank unseren Spannriemen gelingt es uns, den triefend nassen Vorhang an das Fenstergitter zu fixieren und das Bett so einigermassen im Trockenen zu behalten. Hauptsache es kühlt ab!
Nach einem rührenden Abschied von diesem herzlichen, scheinbar männerlosen Haushalt radeln wir am frühen Morgen weiter durch die weiten Wälder und gelegentlichen Felder und Dörfer.
Jeweils nach den ersten zwanzig bis dreissig Kilometern gönnen wir uns an einem kleinen Strassenstand einen süssen Duth Chia (Duut Tschia = Milchtee) und dazu eine erste Verpflegung. Ein Samosa mit Kartoffelcurry, frische Channa (Kichererbsen), einen Dunot oder ein Shell (frittierter Kringel aus Reismehl). Yummy! Hier in Nepal getrauen wir uns wieder, von den diversen Strassenständen und -Küchen zu essen. Bisher ohne negative Folgen für unsere Verdauungsapparate.
Am späten Nachmittag treffen wir bei einer kleinen Siedlung ein und gönnen uns ein Dahlbath. Das freundliche Wirtepaar lässt uns auch gleich noch hinter dem Haus kalt Duschen- eine Wohltat. Die Suche nach einem geeigneten Übernachtungsort dauert heute etwas an. Wir versuchen uns ein Plätzchen auf einem Schulhof zu sichern, doch die Cricket-spielenden Teenager scheinen unsere Anfrage nicht so ganz zu verstehen. Schliesslich treibt jemand einer der Lehrer auf, doch gerade als unsere Übernachtungsplatz gesichert scheint, taucht ein Typ mit Mountainbike auf, stellt sich als örtlicher Militärkommandant vor und lädt und für die Übernachtung in sein «office» ein. Das «office» stellt sich als Truppenplatz im Wald heraus und wir dürfen eine leerstehende Hütte mit Bettgestell nutzen. Perfekt. Gegen die Mücken hilft ein Moskitonetz, gegen die Schlangen eine Taschenlampe und für den abendlichen Hunger gibt es ein leckeres Dahl Bath.
Ein weiterer Fahrtag bringt uns weitere Niederschlagspausen, leckere Momos und schliesslich zu einem gedeckten Unterstand an einem Dorfrand. Hier verbringen wir einen wunderbar ruhigen Abend, bestaunen die zahlreichen Leuchtkäfer, die zwischen den Bäumen herumschweben und einen Sternenhimmel auf Augenhöhe zaubern, geniessen das Insektenkonzert und eine friedliche Nacht.
Es dauert weitere eineinhalb Tage, bis wir in Butwal eintreffen. Um rechtzeitig in Kathmandu zu sein, verladen wir hier unsere Fahrräder und legen die rund 120 Kilometer nach Bharatpur in einer mörderischen Busahrt zurück. Die Strasse ist im Umbau und der gesamte Verkehr rast über eine holprige Sandpiste. Der aufgewirbelte Staub brennt in den Augen und trotz den zweifelhaften Fahrkünsten des viel zu jugendlichen Fahrers sind wir froh, diese Strecke nicht auf dem Fahrrad zurücklegen zu müssen.
Wir sind nun schon über zehn Tage ohne echten Pausentag unterwegs und gönnen uns daher einen ruhigen Morgen in Bharatpur. Der Fluss Narayani strömt hier aus den Bergen mitten durch die Stadt und Richtung Indien. Früh am Morgen wird am Ufer spaziert, gejoggt und Tee getrunken und wir geniessen die schöne Stimmung ebenfalls.
Ein gemächlicher Morgen bedeutet eine heisse Mittagsfahrt. Mittlerweile gibt es mehr Verkehr auf der Strasse und wir sind heilfroh, finden wir auch heute ganz problemlos ein ruhiges Plätzchen für die Übernachtung. Die örtlichen Jugendlichen laden uns (vergeblich) zu einem Feierabendjoint ein, plaudern ein bisschen, erklären uns, an wen wir uns bei allfälligen Problemen wenden können und lassen uns dann wieder allein. Perfekte Gastfreundschaft.