Obwohl Kathmandu lediglich auf 1500 Metern über Meer liegt, stehen für die letzten knapp 70 Kilometer knackige 2870 Höhenmeter auf dem Programm. Abgesehen vom flachen Tiefland bietet Nepal eine sehr faltige Oberfläche, die bekannterweise im Himalaya Gebirge gipfelt. Das heisst für uns: Steil rauf, immer mal wieder runter und fleissig Höhenmeter sammeln. Kurz nach Hetauda zweigen wir von der West-Ost-Hauptroute ab und fahren nun in nördlicher Richtung in die Hügel hoch. Wir wählen eine Strecke, die ausschliesslich von Jeeps und Motorrädern befahren wird und entkommen so den Bussen und Laster. Allerdings lässt auch die Strassenqualität ziemlich bald nach und während diesem ersten «Klettertag» rumpeln wir durch Schlaglöcher und grobes Geröll in die Höhe. Mittlerweile verfolgen wir ausnahmsweise einen Zeitplan, um rechtzeitig in Kathmandu anzukommen. Am 31 Mai landet Louies Mutter in Nepal und wird dann ganze zwei Wochen mit uns verbringen. Louie`s Plan geht wunderbar auf und für diese letzte Abendteuer-Etappe bleiben uns komfortable vier Tage. Nach nur 44 Kilometern aber zum Teil steilen 870 Höhenmeter erreichen wir Bhimphedi. Ein Dach über dem Zelt ist in der Monsunzeit Pflicht und Louie erkundet das Dorf, um einen geeigneten Übernachtungsplatz zu finden. Mit magerem Bericht kommt er zurück, doch wir haben erneut Glück: Dank herumfragen erhalten wir die Erlaubnis, in der Schule zu übernachten. Bald kommen wir mit einigen der Lehrer ins Gespräch, die gleich neben ihren Klassenzimmern ein Zimmer bewohnen. Interessiert schauen sie uns beim Kochen zu und stellen viele Fragen über unsere Reise. Die Kommunikation ist problemlos. Alle sprechen hier English und wir können «Google Translate» und meine Nepali Brocken ab sofort im Rucksack lassen. Die Lehrpersonen scheinen stolz auf ihr Land mit seinem Reichtum an Kulturen, Sprachen und geografischen Besonderheiten. Auch sind sie mit Vollblut Lehrpersonen, die wohl versuchen, mit den limitierten vorhandenen Ressourcen ihre SchülerInnen zu erreichen. Allerdings üben sie auch klare Kritik am Schulsystem, welches den unterschiedlichen Lerntypen und dem individuellen Denken wenig gerecht wird. Die Ergebnisse der staatlich verordneten Pflichtprüfung am Ende des 10. Schuljahres bestimmen weitgehend über die weiteren Karrieremöglichkeiten. Getestet wird dabei die Fähigkeit, zahllose Bücher, Fakten und Formeln auswendig zu lernen und wiederzugeben. In der Praxis hat das zur Folge, dass der Unterricht sich weitgehend auf die stiere Repetition, das korrekte Abschreiben, vorgegebene Antworten und das Auswendiglernen von ganzen Schulbuchpassagen fokussiert. Die Klassengrössen sind üblicherweise gross, so dass Unterrichtsformen ausserhalb des Frontalunterrichts überhaupt nicht praktikabel sind. Individuelles (mit-) denken wird wenig goutiert und bringt keinerlei Vorteil in den Prüfungen. Mahesh seufzt und seine Ausführungen machen klar, dass er durchwegs auch eine Ahnung von etwas moderneren Unterrichtsformen hätte, diese jedoch nicht umsetzbar sind. Zum Lehrersein gehört hier nicht nur der tägliche Unterricht. Nach den Schulstunden fahren einzelne Lehrer mit dem Schulbus mit und helfen dabei, die Kinder wieder so nahe wie möglich von ihren abgelegenen Höfen abzuliefern. Den Schulweg ersetzt die Busfahrt keineswegs. «Und was verdient eine Lehrperson für diesen Vollzeitjob?», möchte ich wissen. «20`000 Rs (150 CHF) für ein Primarschullehrer, 15`000 Rs (112 CHF) für eine Lehrperson der Nurseryklassen und rund 30`000 (225) für Lehrpersonen der älteren Schüler», lautet die Antwort von Mahesh. Offenbar sind diese Zahlen das Ergebnis einer kürzlichen Lohnerhöhung in den Regierungsschulen.
Ohne Familie lässt sich mit so einem Lohn knapp überleben und Mahesch und seine jungen Kollegen scheinen vorerst einigermassen zufrieden damit. Die Vorstellung unserer Schweizer Löhne im gleichen Berufsfeld sind schlicht astronomisch!
Bald beginnt es in Strömen zu regnen und das Angebot, in einem der Schulzimmer zu übernachten, nehmen wir gerne an. Die Nacht ist angenehm kühl und am nächsten Morgen fühlen wir uns bereit für den nächsten steilen Anstieg. Von Bimphedi aus ist die Strasse frisch geteert und in einem wunderbaren Zustand. Die Strassenführung ist spektakulär: In unglaublich steilen, engen Serpentinen windet sich die Strecke schmalen Graten entlang in die Höhe. Dichter Nebel vermiest uns die bestimmt eindrückliche Sicht und wir sind froh, dass die überholenden Jeeps ihr Fahrtempo an die Bedingungen anpassen. Gute 1000 Höhenmeter später erreichen wir den grossen Stausee Kulekhani. Hier schlagen wir unser zweitletztes Lager vor der Ankunft in Kathmandu auf. Es ist feucht und es kriecht und fleucht. Glücklicherweise bietet uns eine Überdachte Betonplattform Schutz vor dem Getier und den nächtlichen Regenschauern.
Zwei weitere, gemächliche und steile Fahrtage bringen uns schliesslich ins Kathmandu Valley. Seit meinem ersten Aufenthalt hier vor rund 14 Jahren wurde das einst so romantische, grüne Tal geradezu mit Häusern überschwemmt. Dörfer zu ausufernden Vororten zusammengewachsen und vom einstigen Grün ist auf den ersten Blick nicht mehr viel übrig. Bäume oder gar Parks erspäht man aus der Ferne kaum und stattdessen fressen sich die Häusermassen je länger desto höher die umliegenden Hügelketten hoch. Der Stadtrand kommt abrupt und ehe es wir uns versehen, schlängeln wir uns zwischen qualmenden Bussen, Motorrädern, schwer beladenen Fahrrädern, Kühen und Trucks der Ringroad entgegen. Unser erstes Ziel ist in die grosse buddhistische Stupa Swayambhunath. Diese eindrückliche Pilgerstätte gilt als eine der ältesten buddhistischen Tempelanlagen der Welt und wird auf bis zu 2500 Jahre geschätzt. Wir um umrunden den Tempelberg als Willkommensgruss mit unseren Fahrrädern und versuchen zu fassen, dass wir jetzt tatsächlich in Kathmandu angekommen sind. Mit unseren Fahrrädern aus der Schweiz.
Später am Abend schauen wir natürlich in Kusunti bei den La Dhokas vorbei: In unserem Mietkaus leben hier meine Projektpartnerin Laxmi Dhungel, ihr Mann und Sohn und unsere momentan sechs Schützlinge, die sich mittlerweile zu jungen Erwachsenen gemausert haben. Wir werden herzlich empfangen und bestaunt und können selbst den Anblick unserer Tourenräder im Kusunti-Haus kaum fassen.