Dem Äquator entgegen
Dem Äquator entgegen

Dem Äquator entgegen

Malaysia scheint all unsere (falschen) Vorstellungen von Thailand zu erfüllen: Wir fahren entlang endlos langer Sandstrände, gutes Essen lässt sich leicht auftreiben und auch zum Übernachten finden wir immer wunderbare geschützte Plätzchen mit der Brandung als Einschlafmusik. Die Nächte kühlen hier angenehm ab, so dass wir in unseren Hängematten endlich vernünftig schlafen können. Die Begegnungen mit den Einheimischen sind ebenfalls angenehm warm und wir fühlen uns sehr gut aufgehoben inmitten der malaysischen Familienkultur. Ähnlich wie im Iran pflegen die Einheimischen eine rege Picknick- und Campingkultur. Am späteren Nachmittag fahren die Pickups und Familienkutschen vor, Decken werden ausgelegt, Gaskocher aufgebaut und die Kinder mit ihren Einweg-Sandspielzeugen in Richtung Wasser entlassen. Bunte Drachen steigen in die Luft und bleiben gelegentlich in den Bäumen hängen, Seifenblasen tanzen mit dem Wind und es wird gescherzt, gelacht und grilliert. Manch einer kocht auf dem Feuer auch lediglich Wasser, um dieses dann in eine 2-Minuten-Nudeltüte zu giessen.

Wir suchen uns ein Schattenplätzchen, spannen unsere Hängematten und vertrödeln den Nachmittag mit Schwitzen, Lesen, schwimmen und dösen. So lässt es sich einigermassen angenehm schwanger sein trotz der täglichen Fahrradfahrt. Seit Kathmandu habe ich nur reduziertes Gepäck zu transportieren; Louie befördert die Hauptlast. Unsere Tagesetappen bewegen sich mittlerweile zwischen 50 und 60 Kilometer. Langsam kommt der Äquator spürbar näher. Morgens bleibt es lange dunkel und wenn es die Sonne dann über die Horizontlinie schafft, dauert es weniger als eine Stunde, bis sie schon ordentlich hoch am Himmel steht und unbarmherzig die Luft erhitzt. Die Sonne flitzt geradezu zu ihrem höchsten Punkt am Himmel und ist sie einmal oben angelangt, bleibt sie dort stehen. Ab der frühen Mittagszeit bis weit in den Nachmittag hinein fallen die Schatten senkrecht auf den Boden und sind dementsprechend klein. Wir freuen uns über Wolken aller Art, die die kühleren Morgenstunden etwas in die Länge ziehen. Momentan ist die Zeit des Südwestmonsuns. Das heisst an der Westküste gibt es kräftig Regen. Wie wir bereits erlebt haben, ziehen gegen Abend die Überreste dieser schweren Regenwolken über die malaysische Peninsula und zuweilen kommt es abends oder nachts auch an der Ostküste zu kräftigen Regenschauern und Stürmen.

Eine der wenigen grossen Städte auf dieser Seite der Halbinsel ist Kuala Terengganu. Hier sind wir mit Tok verabredet, einer der wenigen Warmshower Host an dieser Küste. Wir sind gespannt und wundern uns, wie Tok wohl dazu gekommen ist, sich bei Warmshowers anzumelden. Hier gibt es zwar einige Rennfahrer, aber grundsätzlich scheint das Fahrrad vollständig vom Auto verdrängt. Wir sind dementsprechend überrascht, bei Tok tatsächlich verschiedene Tourenfahrräder stehen zu sehen und von seinen abenteuerlichen Touren in und um Malaysia zu erfahren. Aufgrund des Schlaganfalls seines Vaters, war Tok gezwungen, sein Studium frühzeitig aufzugeben, um seine Familie finanziell zu unterstützen. Eine beeindruckende Bücherauswahl zeugt davon, dass der gute Tok sehr belesen ist. Sein Vater hat darauf bestanden, dass er sich im einfachen Zuhause einen Ort zum Studieren einrichtet, um sich wenigstens im Selbststudium einiges an Wissen anzueignen. Besonders einige Ideen des Sozialismus haben es ihm angetan. Doch auch handwerklich ist der schlaue Mann begabt: Aktuell baut er hinter dem Elternhaus gerade eigenhändig ein Haus (!) für seinen Bruder. Ach ja, daran arbeitet er jeweils nach Feierabend und am Wochenende. Wenn er dann noch Zeit findet, beschäftigt er sich mit der Entwicklung kleiner Maschinen, liest in seinen schlauen Büchern oder träumt von seiner nächsten grossen Velotour in Borneo. Einmal mehr sind wir uns unserer eigenen Privilegien bewusst. In unserer Westlichen Individualkultur lässt es sich zwar schnell einsam werden, jedoch tragen wir auch nicht die Verantwortung für sämtliche Familiengeschicke. Was wir verdienen, wandert grundsätzlich auf unser privates Bankkonto, wird jemand in unserem Umfeld von einem Schicksalsschlag ereilt, springt mindestens finanziell eine Versicherung ein und scheinbar ist jeder seines eigenen Glückes Schmied. In vielen Ländern, die wir auf unserer Reise kennenlernen, wird eine pluralistische Kultur gelebt. Es geht hier nicht in erster Linie um Selbsterfüllung und Unabhängigkeit. An oberster Stelle stehen die Familie, die eigene Kultur und das weitere Umfeld. Niemand scheint hier allein, weder die älteren Menschen noch die jungen Familien. Kinder werden noch vom Dorf grossgezogen. Bei den Familienpicknicks wird die Grossmutter irgendwo auf ein Kissen gebettet, von den Urenkeln mit Sand besprenkelt und die älteren Herren sitzen gemeinsam am Strand und rauchen gemächlich ihre Zigaretten. In unseren Augen wirkt das alles sehr romantisch und wir glauben, hier bei uns verlorene Werte und natürliche soziale Strukturen zu beobachten. Was bringt uns Menschen echtes Glück? Tok hat durch die Einbindung in seine Familie und Nachbarschaft eine unglaublich starke persönliche Verankerung einerseits, aber natürlich auch eine riesige Verantwortung. Für ihn ist es nicht so einfach, Geld zu sparen oder auf eine «Egofahrradreise» aufzubrechen wie für uns. Unsere Eltern lassen uns ziehen und unterstützen uns moralisch. In Malaysia und anderswo wird nebst einer guten Ausbildung doch eher eine Hochzeit und Familiengründung angestrebt. Allerdings erleben wir hier durchaus eine attraktive Mischung der beiden Wertsysteme. Die Familienkultur wird auch von den jungen Malaysiern hochgehalten und schliessen einen modernen Lebensstil keineswegs aus. Geheiratet wird erstaunlich spät und eine gute Ausbildung geniesst einen hohen Stellenwert. Zumindest an dieser Küstenseite treffen wir fast ausnahmslos auf gläubige Muslime; die Religion ist natürlicher Bestandteil des Alltags und die Imame rufen jeweils erfolgreich zum Gebet. Auch Tok entschuldigt sich ab und zu zum Gebet- die Moschee ist gleich nebenan.

Tok zeigt uns, wie in Malaysia gegessen wird. Auch hier im kleinen Dorf etwas ausserhalb der Stadt ist es üblich, nicht etwa selbst zu kochen, sondern eine der kleinen Beizen zu besuchen. Offenbar gibt es spezifische Morgenbeizen, die Nasi Lemak, verschiedene, Süssiggerichte, einige Curries und die obligaten Tehs und Kopis (Tee und Kaffee) anbieten. Die Getränke werden meist mit süsser Kondensmilch serviert und Tok hilft uns, den Namensjungel etwas zu entwirren: Da gibt es Kopi bzw Teh mit Bezeichnungen Teh-C, Teh-O, Teh-C-Kosong, Teh Peng und unzählige weitere Variationen. Die Bezeichnunge verät jeweils, zu welchen Anteilen das Gebräu aus Kondensmilch, Wasser und Zucker besteht. Sobald die Morgenessenszeit vergangen ist, schliessen diese Beizen und die nächste Kategorie eröffnet in einem fliessenden Übergang. Ab sofort sind die Curry-Buffets und natürlich die leckeren Roti Channai zu geniessen. Gegen Abend findet dann ein weiterer Schichtwechsel statt und die Lokale für das Abendessen eröffnen mit einer etwas breiteren Auswahl und bewirten ihre Kundschaft bis weit in die Nacht hinein. So ergeben sich für die Betreiber vernünftige Arbeitsstunden und anstatt nur ein Restaurant, verdienen sich gleich drei Betriebe am gleichen Standort ihren Lebensunterhalt.

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