Die Fahrt über die knapp 60 km lange Insel Hvar ist an Schönheit kaum zu überbieten. Die Insel ist schmal und langezogen und bietet immer wieder Aussichten auf beide Seiten der Küste. Die Siedlungen sind klein und als ich mich gerade mal wieder eine Steigung hochgekämpft habe, steckt mir ein Typ vor einem geschlossenen Lebensmittelgeschäft beim Vorbeifahren ein Pivo (Bier) entgegen. Verlockend! Aber die sieben anderen Inselalkoholiker, die mich alle mehr oder weniger interessiert anstarren, lassen mich dankend ablehnen und vorbeifahren. 50 Meter später wende ich mein Velo, fahre zurück und nehme das kühle Bier dankend entgegen. Mittlerweile nuckeln nur noch drei verbraucht wirkende Typen an ihrem Bier. Andi spricht ganz passabel Englisch, lacht mich mit seinen katastrophalen Zähnen freundlich an und wir plaudern für die Dauer eines Biers über das Leben, die Insel und die Vorzüge des Velofahrens. Zu meinem milden Schrecken leert sein stummer Kollege währenddessen sein drittes Bier, steigt in sein Auto ein und fährt weg. «Drink and drive» ist wohl ziemlich Standart hier.
Ich verbringe die letzte Nacht auf der Insel gemeinsam mit einem Schwarm Moskito, deren unzählige Bisse mir das Wohlfühlen in den nächsten Tagen etwas schwer machen. Nach einer halben Nacht in der Hängematte stelle ich verzweifelt mein Innenzelt auf und versuche da noch etwas Schlaf zu finden. Die über hundert Stichen beissen wie wahnsinnig und wecken mich immer wieder auf.
Auf der kurzen Überfahrt zurück an die Festlandküste kühle ich mein verschwollenes Gesicht und meine Hände einigermassen verzweifelt mit Eiswürfeln, die mir eine nette Barfrau in meine Wasserflasche gefüllt hat. Es ist Sonntag und ich habe nichts, um den Juckreiz zu lindern.
Die Fahrt von der eindrücklichen Makarskaküste ins Inland ist anfangs etwas zäh, monoton und sehr heiss; wandelt sich aber bald nach dem Grenzübergang nach Bosnien Herzegowina in eine wahre Freude. Kurz nach Ploce (HR) beginnt der Ciro-Trail entlang der alten Bahnlinie, die Sarajevo, Mostar und Dubrovnik verbindet. Ich folge jetzt dem Fluss Neretva, was bedeutet, dass ich mich kaum mehr mit Höhenmeter befassen muss. Die Ebene verwandelt sich allmählich in ein eindrückliches Tal. Plötzlich wachsen Mandarinen und Apfelbäume und einmal mehr wandelt sich die Landschaft innerhalb weniger Kilometer.
Bei der Durchquerung eines weiteren schnuckeligen Dörfchens stelle ich plötzlich fest, dass ich von einem Kerl auf einem Velo verfolgt werde. Ich spreche ihn fahrend an und aus dem Kerl wird Admir; ein 28ig-jähriger Einheimischer, der heute seinen freien Tag hat. Er hat zwar Soziologie studiert und mit dem Bachelor abgeschlossen, doch aus Mangel an Perspektiven arbeitet er jetzt an dem gigantischen, chinesischen Infrastrukturprojekt (Belt and Road Initiative; BRI) als einfacher Arbeiter mit. 430 Euro Lohn im Monat, Sechstagewoche, kaum Ferien. Ob dieser Lohn zum Überleben reicht, frage ich ihn. Wie die meisten jungen Menschen hier lebt er bei seinen Eltern. Die allermeisten Familien hier besitzen ihr eigenes Haus; ein willkommenes Erbe aus der Ära Jugoslawien.
Spontan überredet mich Admir dazu, über eine temporäre Baustellenbrücke die Neretva zu überqueren, um auf der anderen Seite ein Stück zurück zu den ottomanischen Ruinen von Pocitelj zu fahren. Nebenbei deutet er auf riesige Sandberge neben dem Fluss und kommentiert: «Our government is so corrupt, they are not alowed to take this sand for the road, but they take it out our river.” Die riesigen Säulen für die neue «Balkan Seidenstrasse», die China direkt mit dem Balkan und somit Europa verbinden wird, ragen eindrücklich in den Himmel und lassen die Dimension dieses nicht ganz uneigennützigen Projekts nur erahnen.
Admir schlendert mit mir durch die orientalischen Ruinen, lädt mich auf ein Bier ein und spendiert mir den besten frischen Fruchtsaft meines Lebens- bezahlen lässt er mich selbstverständlich nicht.
Nach diesem überraschenden Intermezzo ist die grösste Hitze des Tages vorbei und ich nehme die nächsten 50 km Richtung Mostar in Angriff.
Gegen Abend fahre ich in diese besondere Stadt ein. Gerade ertönen die Gebetsrufe der Muezzine; die Stimmung ist magisch. Ich fahre an Kirchen und Moscheen vorbei, die Garderobe der Leute reicht von Hotpants bis Vollverschleierung, Kinder spielen in den kleinen Parks, arabische Touristen in wallenden Kleidern schlendern hinter einer Frau in Lederhosen mit einem Dobermann an der Leine.
Im Hostel werde ich sofort in eine wunderbar internationale Trinkrunde aufgenommen. Island, England, Frankreich, Schweden, Dänemark, Österreich und Deutschland sind vertreten und die Gespräche drehen sich über Mostar, Reiseerlebnisse, Reisepläne, Sprachvergleiche, Lebenserkenntnisse… Die Welt der Rucksacktouristen eben.
Mostar ist ein faszinierender Ort. Es scheint, dass ausser mir die ganze Welt bereits weiss, dass sich ein Besuch hier lohnt. Ich kenne den Namen eher aus düsteren Radionachrichten zwischen 1992 und 1995. Mostar- frei übersetzt bedeutet der Namen Brückenwächter. Seit vielen hundert Jahren bildet die Starimost, die alte Brücke das Zentrum der Altstadt; bzw. hat sich diese um diesen wichtigen Übergang erst entwickelt. Einst bewachten die Soldaten auf beiden Seiten die Brücke und kassierten einen Wegzoll für die Überquerung der Brücke. Die Soldaten siedelten ihre Familien an und so wurde aus der Mautstelle irgendwann eine Stadt. Die Geschichte von Mostar ist die Geschichte von wechselnden Besatzungen und dem Verschmelzen von Kulturen. Die Ottomanen brachten den Islam, ihre Architektur und viele Brauchtümer. Österreich-Ungarn übernahm vom schrumpfenden Riesenreich, um nach dem ersten Weltkrieg dem Staatenbund Jugoslawien zu weichen. Die jüngere Geschichte ist weit weniger harmonisch und nach dem Bosnienkrieg 1992-1995 herrscht jetzt zwar Frieden aber die Stadt wird von einer unsichtbaren Grenze durchzogen; im Osten lebt mehrheitlich die bosniakische Bevölkerung, im Westen die Kroatische.
Ich verbringe zwei sehr soziale Tage/ Abende in dieser spannenden Stadt. Bei der eindrücklichen «Free Walking Tour» mit Sheva, treffe ich auch am zweiten Abend ein neues interessantes Grüppchen und wir verbringen einen lustigen Abend zusammen. Einige von ihnen haben sich vorest für ein Leben als Traveler entschieden und sind schon über 10 Jahre ohne festen Wohnsitz unterwegs. In Mostar triffe ich die Welt in schillernden Facetten.