In Shkipëria
In Shkipëria

In Shkipëria

Ziemlich aufgewühlt erkläre ich dem festeren Herrn mit der dunklen Sonnenbrille am nächsten Tag zum dritten Mal, dass ich kein Busticket nach Kotor kaufen möchte, sondern jemanden von Kotor erwarte. Der Bus steckt irgendwo vor der Stadt bei einer Tankstelle fest und ich tigere unruhig hin und her und hoffe, dass mich die kreischende Romafrau und ihre ungesund ausschauenden Kinder unbehelligt warten lassen.

Mit einer Stunde Verspätung kommt der Bus und mit ihm Louie samt Fahrrad und Gepäck an. Endlich!

Tags drauf verabschieden wir Sorbus, der die letzten 80 Kilometer nach Tirana allein radeln muss und lassen uns durch die Stadt treiben.

It is a bicycle city, the flat landscape leads itself to this. There are enough cars on the streets but they seem to be aware of bicyclists appearing out from behind the next parking. With our Kathmandu biking experience we feel comfortable on the streets with the chaos, noise and dust. The similarities don’t end there, the city has a Nepal vibe to it. People set up shop where ever they find two square meters. The products displayed as if a toddler just tipped out his toys. Coffee holds the same position Chai does and older gentlemen frequent the many cafes throughout the city. Even though it is the second biggest city in Albania with the bike you can quickly be outside the city boundaries. We spend two afternoons with exploring and find our way to the lake beach, the castle and an unmarked -ask us for the details if your ever in Shkoder- look out over the river and city.

Nach einer weiteren Nacht im freundlichen Hostel «Mi casa es tu casa» im Herzen der Stadt brechen wir schliesslich auf. Auch wenn wir nicht nach Tirana zielen, spüren wir doch den Dunstkreis dieser Grossstadt. Immer wieder fahren wir gemeinsam mit dem Schwerverkehr auf den grösseren Strassen. Die Landschaft ist flach und von der Industrie dominiert. Bei einem Abstecher an den Strand von Shengjin staunen wir über die Bausünden und den absurden Charakter dieses Meerzuganges. Ich fühle mich leicht unter Druck: Nach den absolut genialen Fahrtagen während den letzten zehn Tage grämt es mich, dass wir mit so einer unspektakulären Strecke in das gemeinsame Abenteuer starten müssen. Glücklicherweise reisst unser heutiges Übernachtungsplätzchen den Tag aber restlos raus. Nachdem sich der angepeilte kleine See als untauglich herausgestellt hat, sprechen wir mithilfe von Google Translate und meinem «Magic letter» einige Lokale an. Kein Problem, wir dürfen in ihrem Garten mit toller Aussicht zelten, werden als Einstieg mit Rakia und je (!) einer Tasse mit köstlichem Honig verwöhnt und lernen gleich die ganze Grossfamilie kennen. Auch eine warme Dusche im Haus und die Benutzung des WC`s ist für die herzlichen Leute gar kein Problem. Schan, Nina, Adi, Anton, Daura und ihre Kinder leben hier verteilt auf zwei Häuser als Grossfamilie zusammen. Sie pflegen einen stattlichen Gemüsegarten, halten Hühner, Kühe und Schafe und auch der Honig stammt aus eigener Produktion.

Nach einer ruhigen Nacht beladen wir am nächsten Morgen früh unsere Fahrräder, als Anton samt Natel auftaucht, Louie Rakia und Zigaretten anbietet und sich dann mit seinem Esel zur Arbeit entschuldigt.

Auch heute bleibt die Strecke eher unspektakulär, aber immerhin liegt Tirana nun hinter uns und es kann eigentlich nur noch besser werden. Wir schaffen es bis an den Küstenort Durres. Glasbeschichtete Hochhäuser und halbzerfallene Immobilienträume säumen den Strand und erzählen Geschichten von geschäftigen Sommermonaten. Kurz bevor wir unser Zelt am windigen Strand aufstellen, spricht uns Serges an und lädt uns kurzerhand zu sich in sein Appartement ein. Mein anfängliches Misstrauen weicht bald Neugierde. Serges ist eine ziemlich interessante Person. Er stammt aus Sibirien, hat dort die ersten dreissig Jahre seines Lebens verbracht und ist nach dem Zerfall der Sowjetunion samt Familie nach Deutschland umgesiedelt. Mittlerweile lebt er in Dänemark, hat eine Wohnung hier in Albanien und fährt mit einem Schweizer Autokennzeichen durch die Gegend. Von Serge erfahren wir so einiges über das Leben in Sibirien. Das Gebiet ist so gross, dass im Norden die Menschen in Schnee und Eis leben und im Süden Melonen reifen. Würde man die Schweiz nach Sibirien verlegen, «ich glaube, du würdest nicht mehr so schnell finden», meint Serge. In vielen seiner Äusserungen blitzt die Liebe und den Respekt für sein «Mütterchen Russland» durch. Durch seine Augen gesehen, scheint der Rest der Welt klein und unwichtig.

Serge verwöhnt uns mit einem Nachtessen sibirischer-südlicher Art: Vorgekochte, gefrorene Zunge mit Brot und Oliven schmeckt ganz ausgezeichnet!

Nach einem währschaften Ei- und- Schinken Frühstück auf dem Balkon mit Schicki-Micki-Strandsicht brechen wir auf in Richtung Divjake Nationalpark; eine der zahlreichen Lagunen Albaniens. Die Fahrt dahin überrascht uns immer wieder mit frappanten Ähnlichkeiten zu Regionen in Nepal oder Südindien. Die einfachen, schmucken Häuser, die frei herumgehenden Haustiere, die manuelle Feldarbeit, die einfachen Traktoren und qualmenden Abfallfeuerchen am Strassenrand lassen uns staunen. Viele Menschen hier sind mindestens teilweise Selbstversorger. Die Leute winken uns freundlich zu und die Autofahrer grüssen uns mit kurzem Hupen.

Schliesslich überqueren wir einen ersten Kanal und finden uns in einer gänzlich anderen Welt wieder. Plötzlich führt die Strasse durch dichten Dschungel und die etwas unspektakuläre und heisse Ebene scheint weit hinter uns. Wir tauchen ein in diese neue, einladende Welt und erfahren im Besucherzentrum, dass in diesem Park unter anderem Flamingos und Pelikane zuhause sind. Pelikane! Flamingos!! Das alles in Albanien? Wir entladen die Fahrräder und brechen zu einer Erkundungsfahrt auf. Auf Salzverkrustetem, sandigem Boden holpern wir vermeidlich richtung Meer und treffen auf zwei Kerle, die im Abendrot ihr archaisch anmutendes Fischernetzt bedienen. Ebenfalls holprig kommunizieren wir durch Google Translate und erfahren, dass die beiden Cousins sind, sie wenig von stressiger Arbeit halten und wir uns vor den Schlangen in Acht nehmen sollten auf der Rückfahrt. «Bloss nicht umfallen», rät uns Nikola. Die zugeschaltete Schwester in Griechenland grüsst uns freundlich auf Englisch und schickt dann kurzerhand ihren spärlich bekleideten Sohn vor die Kamera, der uns ebenfalls nur das Beste wünscht für unsere Reise. Wir schaffen es ohne Schlangenbisse zurück zum Besucherzentrum und fallen fast vom Velo, als wir plötzlich einem waschechten Pelikan gegenüberstehen. Während der Pelikan nach seiner Abendtoilette seinen riesigen Schnabel samt Kopf unter einen Flügel steckt und schläft, werden wir in der Nacht unzählige Male von den Parkhunden aufgeweckt, die im Stundentakt direkt neben unserem Zelt Fellknäuel herauswürgen oder in aufgeregtes Gekläff verfallen.

Unser Aufenthalt im Divjake Park wird um einiges länger als gedacht: Zuerst werde ich und dann Louie krank und nachdem wir uns beide fein säuberlich unseres Mageninhalts entledigt haben, benötigen wir noch jeweils weitere 24 h um wieder einigermassen zu Kräften zu kommen. Wir nehmen uns ein Zimmer im Dschungel und sind froh, an so einem besonderen Ort gestrandet zu sein.

2 Comments

  1. Moser Edith

    Hallo Simone und Louie
    Das ist ja super, was ihr alles erlebt! All die tollen Begegnungen mit interessanten Menschen. Wir beneiden euch fast ein wenig! Anhand der schönen Fotos und eurem Blog können wir eure Reise wunderbar miterleben und ein wenig bei euch sein.
    Hoffentlich bis bald wieder!
    Wir umarmen euch ganz herzlich. Mapa

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