Ab durch die Mitte der Türkei
Ab durch die Mitte der Türkei

Ab durch die Mitte der Türkei

Die nächsten zwei Tage fahren wir durch eine Ebene voller Fruchtplantagen und begegnen stolzen Bauern, die uns jeweils mindestens einige Äpfel mit auf den Weg geben.

Der Himmel ist blau, die Blätter sind golden und wir freuen uns auf die Bergen, die da kommen.

Wir scheinen den Fruchtkorb der Türkei zu durchqueren. Beide Seite der Strasse sind von Quitten- Aprikosen,- Apfel- und Birnen- und Olivenbäume gesäumt. Zwischendurch sind Chilli, Peperoni und Auberginen gepflanzt und während einigen Kilometern überraschen uns Kiwifruchtplantagen. An der Stadt Iznik, die am Ostufer des Gleichnamigen Sees liegt ist kein schnelles Vorbeikommen. Die Stadt trieft geradezu vor Geschichte und ehe wir uns versehen, sind wir von einem freundlichen Herr zum Çay eingeladen und mit einem Sack köstlicher Oliven beschenkt. Ein lokaler Polizist/ Veloenthusiast führt uns durch das Fliessen-/Historische Museum und wir lesen uns durch die nicht ganz chronologischen Infotafeln durch. Iznik ist eine uralte Stadt und wurde über die Jahrhunderte so ziemlich von allen grossen Mächten der Zeit besetzt. Iznik, bzw. Nikaia war einst römisch, später die Hauptstadt der Rum Seldschuken, dann provisorische Hauptstadt der Byzantiner um dann osmanisch und schliesslich türkisch zu werden. Die hübschen Fliessen zieren zahlreiche Moscheen im Land und wir treffen die floralen blau weissen Muster noch oft an.

 

Von Iznik geht es weiter ins Landesinnere. Nach der Fahrt durch die Fruchtplantagen schlängelt sich die Strasse nun verschiedene Täler hoch und das Hauptgeschäft hier scheint die Hühnchenmast zu sein. Das Herbstwetter bleibt uns erhalten und die Landschaft verändert sich jeden Tag aufs wundersamste. Wir fahren durch Nadelwälder, vorbei an schroffen Felswänden und fruchtbaren Tälern und kleinen, freundlichen Bauerndörfern. In der Höhe wird es nun schon ordentlich frisch am Abend und so fragen wir zuweilen bei den Lokals um einen geschützten Platz für das Zelt. Diese Anfrage beschert uns immer wieder tolle Kontakte mit den Einheimischen. In Sukuz dürfen wir in einem leeren Raum oberhalb der unbenutzten Teestube übernachten, der Imam bringt uns ein Stück Kuchen zum Dessert und am nächsten Morgen verbringen wir einige Zeit in der örtlichen Moschee und plaudern mit ihm mithilfe der Übersetzungsapps. Saleh hofft, dass wir ein positives Bild des Islams erhalten, erklärt uns die Eigenheiten einer Moschee und Louie darf sogar in das Minarett hochsteigen und erhält so einen einmaligen Ausblick über das herbstliche Tal. Menschen wie Saleh berühren uns zutiefst. Ihre Haltung und Handlungen gründen in ihrem Glauben und wirken echt, gelassen und selbstlos. Die islamische Gastfreundschaft ist unglaublich und wir fühlen uns oft wirklich willkommen, auch wenn wir für die Leute sozusagen aus dem Nichts aufkreuzen.

Nach Sukuz wird die Landschaft wirklich anders. Gegen Abend fahren wir aus den Bergen runter in eine unglaubliche Weite. Die Erde und die Hügel leuchten in einem erdigen Rot und die Schichtungen an den Hängen verleihen den Hügeln eine eindrückliche Streifenoptik. Wir fliegen und staunen und finden einen wunderschönen Übernachtungsplatz. Eine niedere Schutzhütte inmitten der rostroten Weite; umgeben von Regenbogenhügeln und Stille. Was für ein Privileg, was für ein Glück, was für eine unglaubliche Umgebung!

Am Morgen treibt ein Schäfer seine Herde nahe an unserem Lager vorbei. Die riesigen, beigen Schutzhunde mustern uns aufmerksam, beschnuppern uns vorsichtig und ziehen dann mit der Herde weiter. Die Hunde hier, obwohl wirklich gross, sind meist extrem freundlich und wir haben viel weniger mit unangenehmen Begegnungen zu kämpfen als noch in Griechenland. Immer mal wieder legt sich ein grosser, halbwilder Hund in der Nacht vor unser Zelt und bewacht uns scheinbar.

Wir kommen nicht wirklich schnell vorwärts im Moment. Die Strecke ist einfach zu schön und die Begegnungen zu wertvoll, um einfach durchzubrausen. In der kleinen Ortschaft Hamamkarahisar werden wir von drei freundlichen, älteren Männern dazu eingeladen, dem Mittagsgebet in der Moschee beizuwohnen. Wir sitzen hinten im Raum, während die drei Freunde; alle über 70 Jahre alt gemeinsam mit dem jungen Imam, der in letzter Minute den Gebetsraum betritt, ihre Gebetsroutine durchgehen. Einer hat Knieproblem und deutet die Knicks so gut er eben kann an, ein anderer hat Aufstossen und ab und zu ist auch mal ein Fürzchen zu hören- wunderbar menschlich und unkompliziert. Die anschliessende Einladung zum Zmittag lehnen wir ab und die Herren ermutigen uns, das lokale Hamam anzuschauen. Ein Hamam? Hier? Schliesslich fahren wir hin und geniessen schon wenig später, jeweils in seperaten Bädern das heisse Thermalwasser und bald darauf das schöne Gefühl von längst vergessener Sauberkeit.

Dieser Tag ist noch längst nicht fertigerlebt. Als wir gegen Abend unsere Wasserflaschen in einem Städtchen auffüllen, werden wir von zwei jungen Frauen zur Übernachtung eingeladen. Wir finden uns in einem kleinen Innenhof wieder, werden in die beheizte Vorstube geführt, mit Tee und Keksen versorgt und der Grossfamilie vorgestellt. Die Eltern scheinen ungefragt mit unserem Besuch einverstanden zu sein und wir sitzen da und scheinen nicht zu stören. Der Vater fährt am nächsten Tag für eine Operation nach Ankara und vermutlich deshalb sind einige der bereits verheirateteten Kinder samt Anhang zu Besuch. Nach dem Essen in der Hauptstube zähle ich 11 Erwachsene und zwei Enkelkinder. Fatma Nur und Bilge sind die jüngsten der acht Kinder. Bilge arbeitet in der Bäckerei der Familie, Fatma Nur geht noch zur Schule und möchte später Schriftstellerin werden. Wir dürfen in der zurzeit leeren Stube des Bruders übernachten. Die beiden richten uns ein Bett aus weichen Decken und Kissen. Bevor wir allein gelassen werden, bleibt aber noch Zeit für interessante Fragen über den Islam, Glaube und Frauen im Islam. Bilgen und Fatma Nur sehen sich als aufgeschlossene Frauen, die tief verwurzelt in ihrem Glauben und ihrer kurdischen Kultur bleiben. Die Verschleierung ist selbstbestimmt, ebenso die Partnerwahl und sie haben klare Vorstellungen von der Rolle von Frau und Mann im Haushalt. «Im Leben ist es normal, dass Frauen die Hausarbeit erledingen. Die Religion befiehlt uns, zu helfen, zu teilen und zu lieben.» Ihre Ansichten unterscheiden sich sicher etwas von unseren, aber vom Klischee der unterdrückten, muslimischen Frau ist da nicht viel zu spüren. Die Vorurteile des Westens gegenüber dem Islam beschäftigen die beiden und auch sie beteuern, dass der Islam «den Frieden liebt und nicht den Krieg».

Auf meine Frage, wie es ihrer Meinung nach um die Stellung der Frau steht im Islam, tippt mir Fatma Nur folgende Antwort in mein Telefon: «Im Islam glauben wir, dass der Himmel unter den Füssen der Mütter liegt. Männer und Frauen sind nicht gleich, die Pflichten von Frauen und Männer im Leben sind unterschiedlich. Ich und meine muslimischen Brüder und Schwestern sind der Meinung, dass wir als Musliminnen gleiche Rechte haben und die Frauen sehr wertgeschätzt werden.»

Wir sind ziemlich sicher, dass Fatma Nur die Schule schwänzt, um uns am nächsten Morgen mit einem königlichen Frühstück zu versorgen. Vor unserer Abreise werden uns sogar noch Geschenke überreicht, die wir aber aus Platzgründen wirklich nicht annehmen können. Wir einigen uns darauf, ein Foto mit den Geschenken zu machen und dürfen sie dann zurückgeben.

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