Spätestens als wir Qir verlassen, wird uns klar, dass wir uns nun für einige Zeit von angenehmen Temperaturen verabschieden müssen. Unsere Fahrt am frühen Morgen führt uns durch nicht enden wollende Dattelpalmenwälder; blau schillernde Vögel trällern ihre Morgenlieder und kahle Hügel säumen den Horizont.
Die Häuser hier sind kubisch und meist einstöckig gebaut und haben die gleiche Farbe wie alles andere. Hellbraun, sandfarben, gesprenkelt nur von kleinen Büschen und einzelnen Palmen und Bäumen, die die Mittagshitze überstehen können. Manchmal wir der Boden von blondem Gras bedeckt und wir erwarten hinter jeder Kurve eine Herde Zebras. Es gibt nur wenig Verkehr; offenbar ist dies eher eine Nebenstrasse. Kleine Rechnungen mit der Kartenapp ergiben, dass wir für die nächsten 80 Kilometer eher weniger mit Zivilisation rechnen können. Diese Distanzen vergrössern sich nur noch über die nächsten Tage und wir müssen etwas mehr vorausdenken was Wasser- und Essensvorräte betrifft. Fahren ist nun nur noch früh am Morgen und wenn nötig am späteren Nachmittag möglich. Ab 11 Uhr ist es brütend heiss und die Sonne hämmert unerbittlich auf unsere Helme.
Die langen Mittagspausen Draussen sind eher wenig erholsam, auch wenn wir sie meist in einem klebrigen Halbschlaf verbringen. Schon besser ist es da, als uns Hassan in der kleinen Stadt Evaz unkompliziert in sein gekühltes Zuhause einlädt. Die afghanisch-stämmige Grossfamilie begrüsst und scheu aber herzlich und trotz Ramadan werden wir ungefragt mit einigen Köstlichkeiten bewirtet, die wohl schon für das Fastenbrechen am Abend vorgekocht wurden.
Hassan und sein Neffe sind nur ausnahmsweise anwesend. Die beiden arbeiten in Dubai in Natel-Shops und sprechen daher ausgezeichnetes Englisch. Der 18-jährige Neffe bestreitet so die Versorgung seiner vier jüngeren Geschwister und Eltern. Dubai ist nahe hier. Der Flug dauert nur 30 Minuten und ein kleiner, internationaler Flughafen gleich um die Ecke. Immer wieder bekommen wir in den nächsten Tagen den Sog von Dubai zu spüren. Unzählige Väter und Söhne arbeiten in der Glizzermetropole und verdienen gutes Geld dabei. Was für eine andere Lebensrealität, wenn die Männer für die Arbeit monatelang, zum Teil jahrelang in dieser anderen Welt leben gehen!
Weitere heisse Fahrtage und klebrige Nächte folgen, bis wir schliesslich den Persischen Golf erreichen. Die Landschaft hier ist trotz der Nähe zum Wasser mondähnlich. Riesige spitzige Berge türmen sich auf, teilwiese aus einer Art Salzstein bestehend. Hier gibt es kaum Dörfer, kaum Häuser nur die Strasse, die uns direkt zu einer kleinen Hafenstadt führt. Auch hier ist alles ausgestorben, es ist Mittagszeit und nur der Aufenthalt in den gekühlten Lebensmittelläden verschafft uns kurz etwas Linderung.
Wir zögern nicht lange und nehmen die Fähre zur Insel Hormuz- wo es natürlich in gleicher Manier weitergeht. Hitze, Sand, gnadenlose Sonne. Nach einem Stopp in einem heruntergekommenen, aber gekühlten Kleiderladen, überwinden wir uns zu den letzten 10 Kilometern in das kleine Dorf Bandar e Laft. Hier sitzen wir die Nachmittagshitze unter dem Schattendach einer Moschee aus und finden uns gegen Abend eine Unterkunft mit AC. Die Schönheit des Ortes ist durchaus zu erahnen: Die engen Gassen des Dorfes sind von Modernisierung weitgehend unberührt. Die traditionellen Lehmhäuser werden von den grossen Windtürmen gekrönt, die dank einer Öffnung in jede Himmelsrichtung stets den Wind in die Wohnräume lenken und so den modernen Ventilator ersetzen. Heute haben viele Häuser eine Kältepumpe und die Windtürme sind nur noch als historische Hingucker erhalten. Im Hafen von Bandar e Laft liegen die rieseigen, hölzernen Lengi Boote vor Anker, die früher und heute zum Warentransport auf die arabische Halbinsel und auch an verschiedene afrikanische Häfen eingesetzt werden.
Der nächste Hitzetag wird dank der Bekanntschaft mit den beiden Basken Cristina und Carles um einiges erträglicher. Die beiden verbringen ihre Zeit als Pensionäre zur Hälfe in ihrem riesigen Overlandingtruck irgendwo auf der Welt und zur anderen Hälfte als Grosseltern in Barcelona.
Wir dürfen uns erst einmal vor den Van in ihrer «Stube» setzen und werden mit einem eisgekühlten Kaffee verwöhnt. Wunderbar. Bald entschliessen wir uns, den Nachmittag mit den beiden zu verbringen und eine geeignete Schwimmstelle zu finden. Wir schliessen unsere Velos ab und sehen die Landschaft für einmal aus Truckhöhe an uns vorbeiziehen. Gar nicht so einfach, neben all den Magrovenbäumen eine «beschwimmbare» Stelle zu finden. Schwimmen ist auf Qeshm für Frauen offiziell verboten und so parkt Carles den Truck an einem einsamen Strand. Wie wunderbar, den Nachmittag im Wasser zu verbringen. Spätestens die Kondensation am Körper bringt die ersehnte Kühlung! Die beiden steigen in ihren Heldenrängen noch höher auf, als sie uns zu einem wunderbaren griechischen Salat und Omelette einladen. Unsere kühnsten kulinarischen Träume werden wahr! Als die Hitze erträglicher wird verabschieden wir uns von den beiden Abenteurern, erreichen per Autostopp ohne Problem unsere Velos und machen uns auf den Weg, die Insel zu überqueren. Ein weiterer Autostopp beschert uns die folgereiche Bekanntschaft mit Fatema und ihrem Mann. Wir stehen schon einige Minuten erfolglos an der Kreuzung, als ihr grosse Pick-up anhält und bereit ist, uns die erhofften zehn Kilometer über die Insel mitzunehmen. Wir gedenken, am dortigen Stand zu zelten. Es kommt natürlich alles anders. Fatime spricht im Gegensatz zu ihrem Mann fliessend Englisch und als ihr klar wird, dass wir hier am Strand die Nacht verbringen wollen, packt sie sämtliche guten Argumente aus, um uns dazu zu bewegen, doch zu ihnen nach Hause zu kommen. «Today is Eid, the last day of Ramasan. This is a once in a lifetime opportunity for you to see that festival»- sie packt sofort die richtig guten Gründe aus. Wir lassen uns schliesslich überreden, auch weil die Aussicht, uns mit einer jungen, vollverschleierten, selbstbewussten Frau austauschen zu können, sehr verlockend ist. Nun stellen wird uns klar, dass die beiden uns keineswegs ein Stück auf ihrer natürlichen Strecke mitgenommen haben, sondern den ganzen Weg gefahren sind, nur um uns weiterzuhelfen. So sausen wir also neun der zehn Kilometer zurück, um schon bald in einem hübschen Hof mit hübschem Haus einzubiegen, das hier irgendwo im Nirgendwo das Zuhause der Familie des Ehemannes ist. Fatime und ihr Mann sind ganz frisch verheiratet und gerade von ihren Flitterwochen im Norden Irans zurück. «Every night in a different hotel- I didn`t like it!”, meint Fatime dazu. Als ich sie danach frage, wie das sein wird, nach der Hochzeit auf so einer kleinen, trockenen Insel zu leben, winkt sie entschlossen ab. «I will never live here! I live in UAE and we will go back there soon!” Nur für die Hochzeit verbringen die beiden Zeit hier. Bis vor der Hochzeit hat Fatime im internationalen Flughafen von Dubai bei der Immigration gearbeitet. Sie hat also viel Erfahrung mit Reisenden aller Art, dem globalen Gefühl und Lebensstil und auch mit der Arbeitswelt. Ihr neuer Mann möchte nicht, dass sie arbeitet. «Stört dich das nicht?», frage ich verwundert. Fatime lacht laut auf uns schüttelt energisch den Kopf. «Nooo!», ruft sie aus. «If he can pay all my bills, why should I work? All those different working hours, stress, sometimes we have unfriendly customers… I prefer to be at home, spending time with my nephew and with my bird!” Wir alle lachen sehr viel an diesem Abend und vergleichen unsere so unterschiedlichen Lebensinhalte. Louie befindet schnell, dass er auch lieber zuhause wäre und ich doch einfach arbeiten gehen solle. Doch warum haben wir Schweizer Frauen so einen starken Drang, ausser Haus arbeiten zu gehen? Ist es die Angst vor der Abhängigkeit? Oder wirklich die Lust an der Arbeit?
So wirklich lustig wird das Gespräch, als uns Fatime ihre wahren Absichten des Abends erläutert: Im Auto sass sie, weil sie möglichst wenig Zeit mit den weltgewandten Verwandten des Mannes verbringen wollte und ihn daher dazu überredete, stattdessen ein wenig herumzufahren. Da kamen wir erschöpften Velofahrer wie gerufen. Als sich dann noch die Gelegenheit bot, uns nach Hause einzuladen, war der Plan perfekt: Gäste sind Könige und wollen unterhalten werden und wer könnte das besser als die einzige englischsprechende Frau im Haus? Win-win also. Fatime kann den Abend abseits der neugierigen neuen Verwandten verbringen und wir kriegen leckeres Süssgebäck und Abendessen und einen kühlen Schlafplatz. Unser Eid-Erlebnis ist zwar etwas weniger familiennah als erwartet, doch die Begegnung mit der temperamentvollen Fatime mit dem herzhaften Lachen ist eine weitere Bereicherung unserer Begegnungspalette.
Das Tüpfchen auf dem i ist, dass das junge Ehepaar uns früh am nächsten Morgen erneut auf die andere Seite der Insel chauffiert und uns so den Radeltag entscheidend erleichtert.