Begegnungen im neuen Land
Begegnungen im neuen Land

Begegnungen im neuen Land

Wir sind nun zwar schon einige Tage in Georgien, haben schon einige Kilometer Landschaft durchfahren, erste Bekanntschaften mit der lokalen (und eingewanderten) Bevölkerung gemacht und uns zwei Tage lang in Sulfur eingelegt, doch so richtig nahe fühlen wir uns diesem Land noch nicht. Nino und Nico winken uns wie selbstverständlich in ihre einfache Behausung, als sie am nächsten Morgen gutgelaunt unser Zelt auf ihrer Terrasse entdecken. «Modi modi!», ruft uns Nico zu und schon bald sitzen wir mit ihnen bei einem Stück Kuchen um den wärmenden Ofen. Nach einer weiteren Nacht auf der Terrasse brechen wir im strömenden Dauerregen auf. An zelten ist nicht zu denken und um die kommenden kalten Regentage auszuharren, steuern wir eine günstige Unterkunft nur 30 Kilometer entfernt an. Trotz der kurzen Distanz erreichen wir Dimi völlig durchnässt und durchgefroren. Das einfache Zimmer wird zu unserem Zuhause für ganze drei Tage! Der Regen wird zum Sturm, die Tropfen zu Hagel, die Temperatur dümpelt um Null Grad.  Gaga und seine Mutter Nana laden uns alle paar Stunden zu Tee und Snacks in ihre warme Stube im Erdgeschoss ein und wir nutzen die unverhofften Pausentage, um Blogs zu schreiben, Iran Recherchen zu betreiben, sinnfreie Youtube Filmchen zu gucken, Mittagsschläfchen zu halten und das nahe, ereignislose Städchen Bagdati zu erkunden. Ein Café oder vielleicht ein Restaurant suchen wir da vergebens. Die kleinen Läden verstecken sich unscheinbar hinter Hausfassaden und bieten Gummistiefel aus China, Second Hand Kleider aus Europa und Gemüse an.

Nach drei Tagen haben sich die Wolken endlich ausgeregnet und der Wind hat an Kraft eingebüsst. Hochmotiviert laden wir unsere Velos und fahren wie neu geboren hinaus in die regengetränkte Landschaft. Die Sonne scheint, die Kälte ist erträglich und links und rechts der Strasse liegt nach wie vor alter Schnee. Als der Abend und mit ihm die Dunkelheit naht, haben wir noch immer kein möglicher Zeltplatz erspäht und auch unsere Wasserflaschen sind ungefüllt. Im Sommer muss Georgien ein wunderbar dankbares Land sein für zeltende Touristen, aber jetzt im Winter ist da ausser Matsch und Schnee absolut nichts zu finden. Wir greifen auf die letzte Möglichkeit zurück: Bei einem Zuhause um eine trockene Ecke bitten. Am Strassenrand schaut uns ein älterer Mann erstaunt-interessiert entgegen und mangels Auswahl wird er kurzerhand zum ersten «Ansprechsopfer». Via Übersetzungsapp fragen wir nach Trinkwasser und einem Plätzchen für unser Zelt. Nach einem verwirrenden Hin- und wenig Her, werden wir schliesslich durch ein Gartentor gewiesen und wir können unsere Flaschen an einem Brunnen füllen. Selbstverständlich werden wir auch gleich noch auf einen Schnaps in die warme Stube geladen. Die warme Stube klingt ganz verlockend, doch was ist mit einem Plätzchen für unser Zelt? Die kleine, bärenstarke Nina erscheint auf der Bildfläche und klärt auf resolute Art diese unausgesprochene Frage: Mit Gelächter und uns unverständlichen Worten hilft sie, die beladenen Velos einige eisige Stufen hochzuhieven und diese im Vorratsraum zwischen eingelegtem Gemüse, Getreidesäcken und allerlei anderen Esswaren zu verstauen. Über einen Vorraum gelangen wir in einen einfachen, zentralen Stubenraum mit Holzdiele, niederer Decke, Ofen und einem Tisch übersäht mit allerlei Speisen. Scheu setzen wir uns erstmal an den Ofen, doch sogleich werden wir von einer jüngeren Frau an die reichgedeckte Tafel gewinkt. «Wine?» Wir kriegen beide ein Glas eingeschenkt. Ein Zweites gesellt sich dazu, gefüllt mit einem tiefroten Liquor. Die Kommunikation ist etwas holprig heute, da die Familienmitglieder nicht wirklich vertraut sind mit Übersetzungsapps und der allgemeine Alkoholspiegel eine gewisse Grenze schon erreicht haben dürfte. Glücklicherweise haben wir bereits ein bisschen etwas über die Tischgepflogenheiten in Georgien gelesen und so erkennen wir, dass wir ihr in so etwas wie eine Sofra -«light» reingeschneit sind. Es ist 5. Januar, kurz vor Weihnachten, was einen Einfluss auf die zubereiteten Speisen haben mag aber nicht muss; Die Georgier sind Menschen, die jederzeit gerne zum ausgedehnten Trinken und Essen zusammenkommen. Mit an der Tafel sitzt ein befreundeter Nachbar samt Rugby spielendem Sohn und diverse Familienmitglieder. Alle paar Minuten setzt Ivan- das Familienoberhaupt- zu einem Toast samt kleiner Rede an, worauf alle am Tisch ihr Weinglas heben und dieses dann in einem Zug leeren. Auf den Frauen lastet zwar ein bisschen weniger Druck zum Mitziehen bei diesen Runden, aber Theodora streckt mir lachend die Liquorflasche entgegen und meint auf Englisch: «Get drunk!». Glücklicherweise ermutigt uns Ivan eindringlich, uns vom Essen zu bedienen. Vom Apero bis zum Dessert sind alle Speisen auf Tellern und in Schüsseln auf dem Tisch übereinandergestapelt. Der Kuchen steht unter dem Hühnchen, die frittierten Schweinshautstücke neben dem gelierten Traubensaft, das Maisbrot findet sich irgendwo in der Mitte oben und daneben glänzen ein weisser, salziger Käse, eingelegte Birnen, selbstgesammelte Pilze an köstlicher Sauce, Würste und fermentierte Gemüseplätzchen. Was für ein Selbstversorger-Gaumenschmaus!

Wir lassen uns die kehligen Namen der Speisen nennen, und vergessen sie wenige Sekunden nach unseren Nachplapperversuchen. Chomi, Badrijani, Chaschuschuli, Khinkali, Mchadi, Pkhali, Shkmeruli und Tkemali*… endlich erahnen wir sie: Die kulinarischen Freuden von Georgia.

Es wird getrunken und gelacht und wir versuchen mangels Sprache mit Fotos eine Verbindung zu schaffen und unsere Dankbarkeit zu zeigen. Louies Mutter beim Fischen in Neuseeland, neuseeländische Kuhherden, ein Familienfoto aus der Schweiz, die Berge im Tessin. Der Wein fliesst, Louie wird von Nina umarmt und geküsst und mit grober Liebe überhäuft und uns ist angenehm warm. Schlafen dürfen wir in einem leeren Zimmer in zwei arg durchhängenden Federbetten.

Am nächsten Morgen wird der Tisch erneut mit den vielen Tellern vom Vorabend beladen, um frischgebratene Kartoffelschnitze aus dem Holzofen ergänzt und sogar einen Kaffee gibt’s dazu. Nina kippt zum Morgenessen gleich mal drei Gläser Liquor runter und verrät uns, dass sie schon als Kind mit Rauchen begonnen hat. Die Trinkkultur hier ist durchaus etwas schockierend und die Lebensumstände in diesem Haus wirken zwar herzlich und unkompliziert, aber auch etwas rau.

Gut gestärkt verabschieden wir uns von unseren spontanen Gastgebern und machen uns auf den Weg Richtung Tschiatura. Nach einigen Umwegen schlagen wir heute unser Zelt auf der überdeckten Terrasse eines geschlossenen Touristeninformationsbüros nahe einer uralten Kirche auf. Im kleinen Laden gegenüber gibt es ausser Alkohol und schlechten Schokoladenriegel nicht viel zu kaufen und so kochen wir uns ein einfaches Mahl aus unseren Vorräten. Es ist Weihnachten heute in Georgien, doch davon merken wir wenig. Vor dem kleinen Laden hängt das übliche Männergrüppchen herum, einzelne Autos kommen und gehen und bald wird es nächtlich still. Als auch ich mich in meinen Schlafsack eingewickelt habe, ändert sich das aber schlagartig: Plötzlich schlendern Gruppen von Teenager herum, Autos fahren vor, es wird gelacht und gequatscht und es dauert eine ganze Weile, bis wir uns zusammenreimen, dass die Georgier an Weihnachten ganz offensichtlich mitten in der Nacht in die Kirche gehen. Bis um drei Uhr morgens halten uns die vielen Geräusche mehr oder weniger wach.
Freundlicherweise werden wir aber in unserem Zelt in Ruhe gelassen. Nicht einmal die Teenager beschweren sich, obwohl wir ganz klar einer ihrer bevorzugten Treffpunkte in Beschlag genommen haben. Frohe Weihnachten also!

*

Chomi: georgische Polenta

Badrijani: gebratene Aubergine mit Nuss-Korianderpaste

Chaschuschuli: georgische Gulasch

Khinkali: georgische Riesenravioli mit Pilzen, Käse oder Fleisch

Mchadi: trockenes Maisbrot

Pkhali: rohe Gemüsetäschchen

Shkmeruli: Hühnchen in Butter und Knoblauchsauce

Tkemali: Pflaumensauce

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