Nach unseren ersten beiden Tagen in Tbilisi schwingen wir uns wieder auf die Räder und fahren hinaus nach Asureti. Das kleine Dorf wurde von rund 200 Jahren von Kaukasiendeutschen gegründet und liegt ca. 40 km Fahrdistanz von Tbilisi entfernt. Ein Katzensprung also- dachten wir. Um die Hauptstrasse zu umgehen, entschliessen wir uns, eine alternative Route durch die Hügel zu nehmen. Gleich am Stadtrand von Tbilisi beginnt die Steigung und wir quälen uns während zwei Stunden mit bester Aussicht auf die Grossstadt einen Berg hoch. Endlich lassen wir die Stadt hinter uns und stellen fest, dass uns unsere Navigation ab sofort über Feldwege schickt. Umkehren kommt bereits nicht mehr in Frage und der Feldweg ist fahrbar, also folgen wir dem Pfad in das buschige Niemandsland. Unser Fortschritt auf der Karte ist niederschmetternd und die Kälte kriecht uns bei jeder Bewegungspause sofort unter die Kleider. Die Aussicht ist beeindruckend und der Weg wird immer schlechter. Ein Mountainbike wäre hier ganz nett… Immer noch 24 Kilometer entfernt sind wir von diesem Asureti. Die Wolken ziehen sich zusammen und es riecht nach Schnee.
Die Landschaft ist wirklich hübsch oder sogar beeindruckend; furchiger Pfad durch niedere Nadelholzwäldchen auf der Hügelkuppe mit Aussicht auf stattliche Schneeberge. In der Ferne erkennen wir die graue Hauptstrasse, die sich in weiten Kurven durch die Landschaft schwingt. Da müssen wir hin! Bei einem mittelalterlichen Wachturm ist aber Ende Gelände: Der steile, knapp fahrbare Pfad verwandelt sich in eine lange, noch steilere Kraxelpassage. Unmöglich, da mit unseren schwer beladenen Velos runterzukommen. Eine Konsultation der Karte ergibt aber: Entweder kommen wir da runter, oder wir müssen einen so langen Umweg in Kauf nehmen, dass wir irgendwo bei Minustemperaturen im Zelt übernachtne. Mittlerweile fallen die ersten Flocken und wir fassen einen Plan: Louie führt/hebt/ wuchtet die Räder einzeln den Hang runter, ich fädle unsere Schloss-Kette durch den Rahmen und bremse was das Zeug hält. So rutschen wir keuchend und schwitzend mit jeweils einem Velo den felsigen Abhang hinunter. Alles und alle bleiben ganz und verhältnismässig wenig später finden wir uns auf der Hauptstrasse wieder. Im Halbdunkeln brausen die Lastwagen gefährlich nahe an uns vorbei und wir sind heilfroh, als wir endlich auf eine Nebenstrasse abzweigen können. Unglaubliche sieben Stunden nach Abfahrt treffen wir müde, hungrig und kalt im Gypsy-camp ein. Dieses ist etwas ausserhalb vom Dorf in einer kleinen Talsenke und wir freuen uns unglaublich auf ein warmes Abendessen.
Wir finden trotz Dunkelheit die Zufahrt und ruckeln eine letzte steile Strasse hinunter. Die Hunde bellen uns entgegen und wir sind gespannt, auf was für Menschen wir hier treffen werden. Wir planen, einige Wochen zu bleiben und den Winter etwas vorbeiziehen zu lassen.
Schon eine halbe Stunde später sind wir uns nicht mehr ganz so sicher, ob wir wirklich mehrere Wochen hier bleiben werden…
Nach dem kühlen und desinteressierten Empfang von Artur, einem jungen Russen, werden wir in den «Playroom» geführt. Heizstrahler, Zugluft, Tisch, Sofas und schummriges Licht. Hier wird zu Abend- und Mittag gegessen. Glücklicherweise stehen tatsächlich einige Pfannen mit leckerem Essen da. Artur führt uns um das Gebäude und klopft an eine Tür. Eine Kirgisin mit Kopfhörern öffnet und wir erspähen einen grossen Raum mit vier Betten. Zwei davon sind als Doppelbett zusammengeschoben- unser neues Zuhause. Auf einem weiteren Bett sitzt Perim aus der Türkei. Sie und die Aidan sind ebenfalls als Workaways hier.
Zurück im Aufenthaltsraum sind wir erst einmal dankbar für das gute Essen und die Heizstrahler. Am Tisch sitzen noch zwei weitere junge Russen, beide mit Kopfverkabelung und Bildschirmen vor dem Gesicht. Wir stellen einige Fragen, scheitern aber schnell an der Sprachbarriere und dem verhaltenen Gesprächsinteresse. Naja, es können ja nicht immer alle interessiert sein, denken wir uns. Wir sind erschöpft von unserer Abenteuerzufahrt und gespannt auf den nächsten Tag fallen wir ins Bett.
Die nächsten Tage sind schnell erzählt: Am Sonntag ist Schlaftag. Vor 11 Uhr sehen wir niemandem auf dem hübschen, weitläufigen Areal. Wir spielen mit den Hunden, unternehmen einen Spaziergang mit Perim und Aidan in der Umgebung und heizen gegen Abend die Sauna ein. Wir finden heraus, dass die drei Russen hier fest angestellt sind und momentan vor allem Bänke bauen. Offenbar gibt es einen Boss, der ab und zu auftaucht. So richtig der Chef ist hier aber niemand. Die Arbeitsaufträge für uns Work Awayers treffen jeweils per Telegramchat ein. Der Montag kommt und unsere Aufgabe lautet: «Varnish benches, cook food». Es ist klirrend kalt und die Motivation ist… verhalten. Es gäbe hier so viel zu tun; in jeder Ecke liegen unfertige Arbeiten herum. Der Ort hat Potential aber das Herzblut ist nirgends zu entdecken. Die eiskalten Tage ziehen vorbei mit lächerlich wenig Arbeit, gutem Essen und angenehmen Saunagängen. Tahir aus Kasachstan taucht auf und wir bemühen uns, die verschlossenen Menschen hier etwas aus der Reserve zu locken. Wir spielen Kartenspiele, sitzen um ein Lagerfeuer und planen unsere Flucht von diesem leicht depressiven Ort.
Da unsere Velos nach den gefahrenen 7000 Kilometern einmal einen richtigen Service verdienen, brechen wir bereits am Donnerstag wieder auf Richtung Tbilisi. Dieses Mal auf der Hauptstrasse. Dank Rückenwind und Höhenmetern rollen wir bereits nach lächerlichen zweieinhalb Stunden wieder in der Hauptstadt ein und freuen uns auf die offenen Menschen in der Tbilisi-WG.
Am Montag brechen wir auf nach Telavi in der Kacheti-Region. Das kleine Städtchen lockt uns mit einem weiteren Work Away Angebot: «Permakulturgarten starten und kleine Arbeiten am Haus», steht bei dem Profil von Julie und Jean-Michele.
Es liegen rund 100 km und 1600 Höhenmeter zwischen uns und unserem nächsten Überwinterungsversuch. Der kürzeste Weg dorthin führt über den schönen Gombori-Pass. Weil es der kürzeste Weg ist, entscheiden wir uns drei Wochen später dazu, den Pass gleich noch einmal zu fahren. Beide Male übernachten wir in einem eiskalten Lager mit Temperaturen von bis zu -7 Grad Celsius. Die Bäche sind gefroren, ebenso wie unsere Hände und Füße auf der steilen Abfahrt.
Der Pass belohnt uns nicht nur mit fantastischen Aussichten und 14 % Steigung, sondern auch mit einigen interessanten Begegnungen am Straßenrand. Wir treffen auf eine Familie von Wildschweinen und drei wilde Kerle, die versuchen, einen Penny zu verdienen (wahrscheinlich für ihren allabendlichen Chacha), indem sie die vorbeifahrenden Autos anhalten.
In Telavi verbringen wir drei Wochen im stattlichen Haus von Julie und Jean-Michele. Wir werden prachtvoll gefüttert- die beiden sind professionelle Köche aus Malaysia bzw. Frankreich- und arbeiten weniger im Garten und viel mehr im Haus. Louie baut und flickt fachmännisch, ich beschäftige mich mit weniger erfüllenden Aufgaben wie Kleber und Zement von Fensterrahmen kratzen, lackieren, silikonieren (schon etwas spannender) und Risse füllen. Corona bedingt verlassen wir das Haus anfangs nicht und geniessen die sagenhafte Aussicht auf den grossen Kaukasus vom noch staubigen Garten aus.
Die Tage verstreichen und wir werden zappeliger. Wann geht es endlich weiter? Die Tage sind schon merklich länger und am Morgen hören wir die Vögel zwitschern. Nie hätten wir gedacht, dass es uns so schwerfallen würde, eine längere Pause einzulegen. Doch nicht nur auf den Frühling warten wir. Unser Visum für den Iran ist schon lange beantragt und wir warten auf den positiven Bescheid. Endlich- nach zwei langen Wochen kriegen wir die Nachricht: Unser Visum ist abholbereit auf der Botschaft in Tiflis!
Was für eine Erleichterung! Louie baut das letzte Gestell fertig, ich schraube die frisch lackierte Aussenbank zusammen und freudig packen wir unsere sieben Sachen auf unsere Velos. Weiter geht`s!