Hoch, höher, Armenia
Hoch, höher, Armenia

Hoch, höher, Armenia

Bald lassen wir die Aussenquartiere von Tbilisi hinter uns und kämpfen uns zum dritten und letzten Mal die mühsame Steigung aus Senke der Hauptstadt empor. Die Beine sind müde vom steilen Gomboripass und der Verkehr ist zermürbend. Doch wir sind wieder unterwegs! Endlich passieren wir den Abzweiger nach Asureti und ab sofort sind wie wieder im Neuland unterwegs. Die Landschaft öffnet sich und die sanften Hügel mit ihren winterlichen Caramelfarben machen die Fahrt zur Augenweide. Schäfer treiben ihre Herden über die leeren Felder und die vorbeiziehenden Dörfer wirken idyllisch. Am Horizont beginnen sich bald wieder höhere Bergketten abzuzeichnen. Wir sind bereits auf direktem Weg an die Grenze zu Armenien. Auch die Menschen scheinen sich zu verändern. Wir werden freudig gegrüsst und freundlich angehupt und bei einem Einkaufsstopp stellt sich heraus, dass die Bevölkerung hier mehrheitlich muslimisch ist zu den aserbaidschanischen Georgiern gehört. Erstaunlich, wie anders hier die Stimmung ist. Männer trinken gemeinsam Tee und die Frauen tragen bunte Kopftücher. Gesprochen wird georgisch und eine Art von türkisch. Wir kommen ins Gespräch mit einem Fruchtverkäufer. Er beschenkt uns mit Mandarinen, Birnen und frischen Kräutern und nur nach viel Überredungsarbeit dürfen wir ihm ein paar Münzen in seine Münzkiste legen.

Die staubigen Vororte am Strassenrand lassen die Nähe der Landesgrenze erahnen. Schnaps, Waschmittel und riesige Windelpakete werden angeboten und nur wenige Frauen sind im Gewusel zu sehen. Männer stehen um ihre zerbeulten Autos und man kennt und grüsst sich. Taxifahrer und Busse rufen Fahrten nach Eriwan aus und die dauerpräsenten Strassenhunde liegen faul neben den Mülltonnen. Lastwagen mit aserbaidschanischen, georgischen, armenischen und iranischen Kennzeigen wirbeln Staub auf und wir denken uns in einem der Supermärkte mit Lebensmitteln ein. Nach einer ungestörten Nacht neben eindrucksvollen Felsformationen geht es über die Grenze. Die Hauptstrasse ist erstaunlich ruhig und problemlos werden wir aus Georgien aus- und in Armenien eingestempelt. Ein neues Land! Die Strasse folgt dem Fluss Debed und schon bald finden wir uns in einer immer steileren Schlucht wieder. Was für eine Landschaft! Jedes Auto und jeder Laster hupt freundlich beim Überholen, die Leute am Strassenrand winken oder geben uns sogar das Daumen hoch Zeichen. Die Sonne scheint, Vögel zwitschern und es fühlt sich einfach nur grossartig an, mit dem Velo durch die weite Welt zu fahren. Stellenweise weicht der Teer unbefestigten Strassenabschnitten und die vorbeifahrenden Fahrzeuge hüllen uns zeitweise in Staubwolken. Wir fühlen uns etwas wie auf dem Pamir Highway und bereits nach einem halben Tag haben wir uns in dieses Land verliebt. Das Tal scheint während der Sovjet-Ärea goldene Zeiten erlebt zu haben. Riesige, zerfallende Gebäude lassen das Ausmass der einst mächtigen Bergbauindustrie in den Sovjetzeiten erahnen. Sämtliche Gebäude hier scheinen aus dem gleichen Stein gebaut zu sein: Der leicht rötliche Vulkanstein ist der Grundbaustein für das gesamte Land. Egal ob Wohnblocks, Fabrikhallen oder Regierungsgebäude- der «armenische Standardstein» schaut immer gut aus!

Die zerfallenden Bergwerke mit all den rostenden Autos und Gerätschaften faszinieren uns. Die Felswände faszinieren uns. Die eindrückliche Strassenführung fasziniert uns. Die kleinen Dörfer irgendwo im nirgendwo faszinieren uns. Kurz- wir kommen aus dem Stauen gar nicht mehr heraus.

Einen Übernachtungsort finden wir heute gleich neben einer zerfallenden Tankstelle. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite unterhält Ashod seinen Minibauernhof. Begeistert winkt er uns zu sich rein und führt uns auf seinem selbstgebastelten Anwesen herum. Auf kleinstem Raum hält er zwei Kühe, Hasen, diverse Hühner und einen wütenden Hund. Er deutet auf einen getrockneten Brustkorb einer ehemaligen Kuh und auf eine offene Feuerstelle. Hier koche er das Hundeabendessen. Einem Kühlschrank in einer anderen Ecke entnimmt er vier Eier und drückt sie uns ganz selbstverständlich in die Hand. In einem kleinen, niederen Raum steht ein Bett und ein kleiner Ofen. Er erklärt uns mit talentierter Pantomime, dass er ein Haus samt Familie im Dorf habe, manchmal aber auch hier übernachte. Ganz vernünftig finden wir, angesichts der kleinen Schnapsparty mit Freunden, die später im Gang ist. Die Einladung zum Essen lehnen wir dankend ab und geniessen stattdessen unseren täglichen Eintopf am wärmenden Lagerfeuer. Wir staunen nicht schlecht, als Ashod uns später mit einem Fischburger in der Hand entgegenstolpert. Selbstverständlich selbst gefangen, den Fisch.

Am nächsten Tag steht ein erster Pass auf dem Programm. Das Wetter ist uns weiterhin hold, als wir die Bergstadt Wanadsor mit ihrer zerfallenden Bergbauindustrie hinter uns lassen und die wahren Höhenmeter des Tages in Angriff nehmen. Die Hochebene, die es zu überqueren gilt, liegt auf über 1800 m.ü.M und wir staunen nicht schlecht, als auch in dieser Höhe diverse Dörfer die weite Landschaft ergänzen. Die Höhe entspricht der Durchschnittshöhe des Landes; Armenien ist ein wahres Gebirgsland. Offensichtlich werden hier Felder bestellt und Vieh gehalten. Noch sind überall Schneefelder zu sehen, doch die warmen Temperaturen lassen den Frühling erahnen.

Als Tagesabschluss sausen wir in das selbsternannte «Little Switzerland» von Armenien, nach Dilijan hinunter. Ziemlich durchgefroren finden wir uns eine einfache Unterkunft, die eine warme Dusche und eine Heizung verspricht. Hier verbringen wir einen wohlverdienten Pausentag und erkunden die zerfallenen Klöster im nahen Nationalpark. Eine freundliche Strassenhündin schliesst sich unserer Erkundungsfahrt spontan an. Treu trabt sie neben unseren Fahrrädern her und begleitet uns auch bei unserer Wanderung. Sie folgt uns zurück in die Stadt und unser Versuch, sie am Ort loszuwerden, wo sie sich uns angeschlossen hat, scheitert kläglich. So kommt es, dass sich Lady Cocco winselnd an all den lokalen Stassenhunden vorbquetscht und sich schliesslich vor unserer Haustüre zusammenrollt. Jeder Versuch, sie von uns abzubringen, scheitert kläglich. In der Nacht wird sie sicher aufgeben, denken wir. Falsch gedacht. Mehrmals werden wir von lautstarken Terretorialkämpfen vor unserer Türe wach und verwünschen die anhängliche Dame. Auch am nächsten Morgen ist sie noch da. Wir packen unsere Habseligkeiten und fahren los und Lady Cocco begleitet uns erneut hochmotiviert. Unsere Rettung ist die steile Abfahrt, die aus dem Städtchen geradewegs auf die nächste Passstrasse führt. Endlich gelingt es uns, die Hündin abzuschütteln und wir können uns auf die heutigen Höhenmeter konzentrieren. Die Strasse schraubt sich in engen Serpentinen auf über 2000 Höhenmeter hoch. Heute werden wir den riesigen Sevansee erreichen. Viele der umliegenden Berge sind um die dreitausend Meter hoch und schauen dabei eher wie sanfte Hügel aus als wie alpine Berge. Auch die Nebenstrasse ist teilweise noch schneebedeckt und wir müssen die Räder teilweise stossen. Für die körperliche Anstrengung werden wir aber mehr als belohnt an diesem Prachtstag. Die Fahrt ist unglaublich eindrücklich und als wie den See am Nachmittag erreichen, beschliessen wir spontan, auf einer Halbinsel eine Nacht zu verbringen. Zerfallende Infrastruktur zeugt von einer vernachlässigten Tourismusindustrie und wir richten uns in einem Coca Cola Zelt für die Nacht ein. Trotz kalter Böen und der stolzen Höhe verbringen wir in unserem Festzelt eine recht gemütliche Nacht.

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