Nach einer ruhigen zweiten Nacht in der Lagune verabschieden wir uns von diesem magischen Ort. Mittlerweile ist das Wetter so heiss, dass wir versuchen, früh aufstehen und früh abzufahren. Bereits um 10 Uhr erreicht die Temperatur um die 30 Grad, doch dank dem Fahrtwind lässt sich die Hitze erstaunlich gut ertragen.
Bald fällt die Strasse wieder mit einem eindrücklichen Flusslauf zusammen: Heute fahren wir dem Darreh Khazineh Canyon entlang. Canyons sind aber oft gut versteckt, da ihre faszinierende Eigenschaft darin besteht, sich tief in die Landschaft einzugraben. Wir biegen also von der Strasse ab auf eine scheinbar flache Ebene und schaffen es so tatsächlich an den Rand der eindrücklichen Schlucht. Der Flusslauf hat über die Zeit enge Bögen und Kurven in den Boden gefressen und die Wände ziehen beinahe senkrecht an die 200 Meter in die Tiefe. Wir knabbern Notfallkekse, bestaunen diese Laune der Natur und lernen bald Mohamad kennen, der einige hundert Meter weiter seine Schafherde hütet. Er bittet uns um Wasser, wir füllen selbstverständlich seine leere Trinkflasche auf und schon lädt er uns mit Nachdruck zum Mittagessen bei seiner Familie ein. «Und die Schafe?», fragen wir. Als er uns schliesslich überredet hat, hat sich die Herde bereits selbständig auf den Weg zur Mittagspause gemacht. Mohamad`s Familie hat ihre temporären Zelte tatsächlich gleich in der Nähe aufgeschlagen und wir dürfen uns unkompliziert zu der Runde dazusetzen. Heute ist der erste Tag vom Fastenmonat Ramadan. Wie es scheint, ist das hier aber kein Thema. Es werden Reis, Brot, Joghurt und Kräuter aufgetischt und mittlerweile sitzen rund acht Leute in der einfachen Unterkunft.
Wir speisen, trinken Tee und klettern hinter den Zelten dem sprudelnden Wasser entgegen. Auch an den steilen Flanken auf der gegenüberliegenden Seite sind Schaf- und Ziegenherden zu erkennen, die dem wenigen Grün den Garaus machen. Bevor wir aufbrechen, füllt Mphamad unsere Wasserflaschen auf. Auf einem Gestell vor den Zelten schlägt er ein feuchtes Tuch zurück und bringt vier prall gefüllte Tierhäute zum Vorschein. Schnell wird ein Bein entknotet und aus dem «Schlauch» gluckert wunderbar kühles Trinkwasser in unsere Flaschen. Faszinierend! Offenbar handelt es sich um Wildschweinhäute, die hier in kopfloser und ausgehöhlter Form als Trinkwasserbehälter dienen.
Das Wasser hat einen etwas eigenen Geschmack und ab und zu ergänzt ein borstiges Haar das Erlebnis, aber doch schon ziemlich genial, was die Menschen früher so für Tricks benutzten!
Zwei heisse Fahrtage später treffen wir in Andimersk ein und wir haben zwei Pläne für die Weiterfahrt bereit: Entweder, wir nehmen den Zug von hier durch die Berge nach Dorud, oder wir fahren weiter in der Bruthitze Richtung Südosten und versuchen dann per Autostopp die mächtige Bergkette, die uns jetzt von Isfahan trennt, zu überwinden. Ob wir die Fahrräder tatsächlich in den Zug verladen können, wissen wir nicht. Solche Dinge muss man einfach versuchen und darf nicht allzu enttäuscht sein, falls es dann nicht klappt.
Wir essen etwas Was und radeln spontan zur Zugstation, um unser Glück mit dem Nachmittagszug zu versuchen.
Der Zugführer schüttelt den Kopf, ein Bahnhofmensch quasselt auf ihn ein und die jungen Männer, die in der offenen Zugtüre stehen, schauen interessiert zu. «No problem, it is ok», meinen wir und beginnen unsere Taschen wieder auf die Räder zu laden. Plötzlich kommt Bewegung in den Wagen; Männer verrücken Gepäckstücke, wechseln Plätze und zahlreiche Hände packen mit an, um unsere Taschen und Räder in den Wagen zu befördern. Wir haben keine Ahnung, wie das zustande gekommen ist, aber wenig später sitzen wir denkbar schlecht vorbereitet im Zug Richtung Dorud. Bald führt die Strecke weg von den Strassen und Dörfern und steuert geradewegs in die Hügelkette, die uns vom über 200 km entfernten Dorud trennt. Die Landschaft legt sich in Falten und der Zug rattert durch unzählige Tunnels, quert immer tiefere Flusstäler und was wir durch die Fenster erblicken, wirkt immer abgelegener und wilder. Wir wollen den Zug heute bei einer kleinen Station irgendwo im Nirgendwo verlassen, dort die Nacht verbringen, eine Wanderung unternehmen und dann erst am nächsten Nachmittag die Fahrt nach Dorud vervollständigen. Wir haben nur noch wenige Rials im Portemonee- für Geldwechseln blieb keine Zeit, eingekauft haben wir ebenfalls nicht- in unseren Taschen finden sich noch einige Trockenfrüchte, etwas Nüsse, etwas Linsen und eine Zwiebel und auch der Benzinstand in unserem Kocher ist eher niedrig. Naja. Irgendwie wird das schon gehen, hoffen wir. Bestimmt können wir irgendwo eine handvoll Reis oder Pasta auftreiben.
Der Zug verlässt einen weiteren langen Tunnel, rattert über abenteuerliche Brücken über dem sprudelnden Fluss und kommt in der kleinen Zwischenstation Tale Zang zum Stehen. Schnell ist unser Gepäckberg wieder auf den Perron befördert und ungläubig blicken wir uns um: Atemberaubend hohe und glatte Felswände rahmen den kleinen Ort. Es ist heiss, da wir trotz der alpinen Umgebung lediglich auf wenig hundert Höhemetern sind. Einige Männer stehen herum, die Gebäude um den Bahnhof wirken verlassen und etwas verfallen. Ein Dorf ist nicht zu sehen. Schliesslich hilft uns ein junger Polizist weiter. Er weiss einen Ort, wo wir unser Zelt aufschlagen können und führt uns über eine weitere lange Zugbrücke auf die andere Seite des Flusses zu einer kleinen Ebene. Zwei Familien scheinen hier mit ihren Ziegen zu leben. Mohamed zeigt Verständnis für unsere missliche Versorgungslage und wir dürfen nach einem längeren Erkundungsspaziergang mit der Familie Abendessen.
Vor Sonnenaufgang machen wir uns am nächsten Morgen auf, einen elf Kilometer entfernten Wasserfall zu erwandern. Dank den Fahrrädern können wir die weite Strecke etwas abkürzen, aber die Wanderung bleibt weit und in der zunehmenden Hitze auch ziemlich ermüdend. Die Gegend ist spektakulär und lässt sich mit nichts vergleichen, was wir bis jetzt auf dieser Erde an Landschaft gesehen haben: Riesige, schuppige Felswände ragen wie scharfe Zähne in den Himmel. Grauer Fels wechselt sich ab mit roten, bläulichen und schwarzen Gesteinsarten. Kiesige Hänge mit Konglomerat und schiefrigem Gestein. Flüsse fliessen von überall her dem grossen Hauptfluss zu und auch die Pflanzenwelt kommt uns wenig bekannt vor. Wir wandern über Wiesen, sandige Passagen, durch Schilf, exotische Eichenwäldchen und sogar einige Dattelpalmen erspähen wir. Die letzten hundertfünfzig Höhenmeter bewältigen wir mit einer eindrücklichen Kraxelei über einen steilen Felsen, der stellenweise einige Schwindelfreiheit erfordert. Nach knapp drei Stunden erreichen wir schliesslich den geheimnisvollen Wasserfall: Über eine üppig bewachsene Felswand rauschen hunderte von kleinen Wasserläufen, die sich in einem türkisblauen Wasserbecken sammeln. Kleine Vögel flattern vorbei, Salamander halten unter Wasser Treffen ab und kleine Fische flitzen zwischen die Steine. Paradiesisch ist es und der herumliegende Abfall macht uns umso trauriger. Offensichtlich nehmen Menschen einen elf Kilometer langen Marsch auf sich um an diesen besonderen Ort zu gelangen und finden dann nichts dabei, ihre leeren Dosen, Petflaschen, Plastiksäcke und Verpackungen einfach zurück zu lassen… Wir haben uns völlig in das iranische Volk verliebt. Aber diese Achtlosigkeit ist in unseren Augen ein grosser Schandfleck. Das Problem ist nicht dem Iran vorbehalten. Spätestens seit wir die EU verlassen haben, sehen wir täglich, dass die Menschen sich selbst je länger desto mehr im Abfall begraben. Plastiksäcke zieren Büsche und Bäume und bedecken ganze Landstriche. Dosen, Flaschen, Windeln, Batterien, Einweggeschirr und was die Zivilisation sonst noch so Unverrottbares produziert. Eine Lösung für dieses Problem ist nicht in Sicht und die Schubrichtung ist klar. Pflichtbewusst werfen wir unseren eigenen Abfall stets in Mülltonnen und Abfalleimer, doch es ist uns bewusst: Auch unser Müll wird in einer offenen Deponie enden, vom Winde verblasen werden und zur Verschmutzung des Planeten beitragen.
auch heute wieder völlig faszinierend und unglaublich!!!
diese abgeschiedenheit und ihr mittendrin. das braucht mut und schutzengel!
ganz herzliche grüsse
brigitte