Und plötzlich ganz allein
Und plötzlich ganz allein

Und plötzlich ganz allein

Jetzt bin ich allein in Ljubljana und es regnet in Strömen. So beschliesse ich, noch eine weitere Nacht im Hostel zu bleiben und den extra Pausentag für einen Besuch bei einem Velomechaniker und diverse Büroaufgaben zu nutzen.

Dank «maps.me» finde ich «Viktor». Der Namensgeber und Besitzer und Narayan wollen mir aushelfen. Während Narayan mein Fahrrad zu meinem grossen Unbehagen scheinbar auseinandernimmt und einen neuen, wohl ebenso schwachen Ständer montiert, unterhalte ich mich mit dem etwäs älteren Victor. Er spricht ein sehr passables Englisch, was mich überrascht. «You know, in Slovenia we are aware- English is a lingua mondial, you know what is a lingua mondial? Children learn in Kindergarten.” Nebst seinen soliden Sprachkenntnissen beeindruckt mich der ältere Herr mit seinem grossen Allgemeinwissen über Geschichte, sportliche Ereignisse und vielem mehr. Er spricht von den Habsburgern, die ja aus der Schweiz stammten, von Simon Amman, diversen Radrennfahrern, (natürlich nennt er alle mit Namen), meint dass in Slowenia Radfahren erst seit gut 20 Jahren ein «Ding» ist und erzählt mit Stolz, dass Slowenien jetzt aber zwei Olympiamedallien geholt hat. Seiner Meinung nach sind die drei wichtigsten Erfindungen der Menschheit das Feuer, das Pferd und das Fahrrad.

Ausserdem sei der Sommer viel zu heiss gewesen und darum sei niemand in Ljubljana, sondern alle auf dem Land.  «Ja- die leben hier in Wohnblöcken aber alle haben sie auf dem Land ein schönes Haus für die Ferien», meinst er. «Weisst du, hier in Slowenien feiern wir viele Feiertage. christliche Feiertage, katholische Feiertage, die kommunistischen Feiertage. Die Leute kriegen zwei Tage frei und dann nehmen sie sich davor und danach nochmals ein paar Freitage und am Schluss verbringen sie 10 Tage auf dem Land.

Narayan hat inzwischen mein Fahrrad wieder in seine ursprüngliche Form gebracht und beim Bezahlen finde ich heraus, dass er ursprünglich aus Nepal kommt. Als ich ihn darauf auf Nepali anspreche, bleibt ihm der Mund offen stehen. Er kann es kaum glauben, dass ich mit diesem Fahrrad auf dem Weg nach Nepal bin.

Ich verabschiede mich und Victor gibt mir einen kleinen Auftrag: «If you write a book, write this: The Slovenians never had a king and never surpressed anyone!”

Am nächsten Morgen scheint die Sonne und etwas nervös packe ich mein Velo. Alleine losfahren. Weiter, immer weiter bis ich in Sarajevo ankomme.

Bald lasse ich die Vorstadt hinter mir und gleite in bester Laune durch die hübsche slowenische Land(wirt)schaft. Ausgedehnte Wälder wechseln sich mit Obstbäumen, kleinen Höfen und gepflegten Siedlungen ab. Zur Mittagspause lege ich mich unter ein paar Apfelbäume, höre mit meinem neuen Radio Musik, esse und lese und bin mit mir und dem Leben zufrieden. Nach einer Stunde auf einem gewunden Schotterweg durch einen scheinbar endlosen Wald wird es Zeit für ein Übernachtungsplätzchen. Aus einem Impuls heraus klingle ich an der Türe eines allein stehenden Hauses mit riesigem Garten- und werde promt zum Übernachten eingeladen. Alenka und ihr Sohn sprechen beide Englisch und so erfahre ich einiges über den Jugoslawienkrieg, über das politische System in Slowenien, die slowenische Sprache und über die Besonderheit der Kozolcec- die fotogenen offenen Heuspeicher, die wir schon seit Kärnten am Wegrand bewundern. Offenbar stammt die Bauweise ursprünglich aus Slowenien und unterscheidet sich je nach Region.

Das Geschichtswissen der Slowenen scheint sehr solide inklusive Namen und Jahreszahlen- ich schäme mich heimlich über meine riesigen Wissenslücken und nehme mir vor, mich da etwas besser einzulesen.

Schon am nächsten Tag überquere ich die Grenze nach Kroatien. Obwohl die Landschaft vergleichbar weitergeht, beobachte ich doch schon erstaunlich bald deutliche Unterschiede. Während in Slowenien auch die kleinsten Häuserhäufchen gepflegt und hübsch daherkommen, sehe ich jetzt häufig ältere Leute, die mit ihren Hühnern, einer Kuh und ihren bellenden Wachhunden irgendwo im Nirgendwo ihr Leben in halbzerfallenen Häusern bestreiten.

Ivan und Marja, meine heutigen spontanen Gasteltern bestätigen mir diese Beobachtung. Die Junge zieht es weg in die Städte, das Land hat nichts zu bieten; weder Arbeit noch sonstige Reize. Sie erzählen mir, dass auch ihr Haus während dem Krieg von serbischen Bomben getroffen wurde. Ich kann mir kaum vorstellen, dass an diesem hübschen Fleckchen Welt vor knapp 30 Jahren Krieg geführt wurde. Mit Stellungen im Wald, Häuserkampf, Brücken sprengen, Angst und Schrecken und allem was dazugehört. Schon am nächsten Tag fahre ich an den ersten Hausruinen vorbei, die von Einschlusslöchern übersäht ein eindrückliches Denkmal darstellen. Nur 1000 km von der ach so heilen Schweiz entfernt diese Spuren der Vergangenheit zu sehen, stimmt mich nachdenklich. Diese Sicherheit, in der wir uns wiegen. Menschen und ihre Emotionen; sei es in Bezug auf die Religion, die Sprache oder Ethnie, fiktive Landesgrenzen oder die Unmöglichkeit zum Dialog und zur Nachsicht bergen so viel Potential zu kollektivem Leid und Schmerz.

Die Landschaft ist wunderbar, meine Route zu grossen Teilen auch. Oft begegne ich Kilometer weit keinem Auto und keinen Menschen. Über der Landschaft liegt bereits ein Hauch von Herbst. Die Bäume tragen einzelne goldene Blätter und einzelne Büsche leuchten bereits in einem warmen rot. Der Herbst kommt. Ich habe Respekt vor der dazugehörigen Nässe und Kälte.

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert