An meinem letzten Tag in Mostar schlafe ich etwas länger als gewöhnlich und nutze den Nachmittag für einen gepäcklosen Ausflug zu einem ganz besonderen Ort. Knapp 10 km von Mostar entfernt, in Blagaj, entspringt der Fluss Buna aus einer eindrücklichen Felswand. Einige Kilometer weiter südlich vereint sich der eiskalte Fluss mit der Neretva.
Der Ort wäre auch einfach so recht eindrücklich. Ein gut 500-jähriges Sufi-Dervisch-Haus (mystischer Islam) schmiegt sich an die Felswand und zieht zusätzlich viele Besucher an. Auf beiden Seiten der Buna kuscheln sich schmucke Restaurants an die Ufer. Ich suche mir ein schattiges Plätzchen vis à vis dieser «Tekke» und verbringe den Nachmittag mit Plaudereien mit Imed, der mit seinem Gummiboot Touristen in den niederen Höhleneingang fährt und meinem Tagebuch. Es ist recht unterhaltsam zu beobachten, mit was für Gästekombinationen das kleine Boot losfährt. Mein Favorit: Drei eher feste, kichernde Nonnen aus Dubai gemeinsam mit einem Biker in Lederhosen und Rocker T-Shirt. Oder war es doch das saudische Päärchen und das Hotpant-Mädel?
Gegen Abend bepacke ich mein treues Velo und fahre noch einige Kilometer aus Mostar hinaus zu Bambi, meinem ersten Warmshower Host auf dieser Reise. Bambi lebt mit seinen zwei Hunden auf einem Flecken Land in einem umgebauten Kühlcontainer bei Poticeli und hat die letzten fünf Jahre mit Permakultur und diversen anderen spannenden Projekten verbracht. Aufgewachsen ist er in Sarajevo, doch er bevorzugt das mediterrane Klima von Mostar. Aktuell programmiert er kleine Videogames, die neben viel Fun auch einen erzieherischen Charakter haben und die Kinder für Themen wie Selbstversorgung und Littering sensibilisieren sollen. Ein herzensguter, konsequenter und kreativer Mensch dieser Bambi! Sein Leitspruch «Respect yourself!» werde ich mir merken.
Sobald ich am nächsten Morgen den ersten Kilometer unter den Rädern habe, beginnt die lange erwartete Steigung über die Berge nach Sarajevo. Eine lange, gerade Strasse zieht stetig in die Höhe, bevor sich die engen Serpentinen einen steilen Pass hochwinden. Oben angekommen staune ich nicht schlecht: Landschaftswechsel; ich wähne mich in den Schweizer Bergen.
Die Abfahrt wird leider nicht ganz so schwungvoll wie erhofft. Kurz nach dem höchsten Punkt wird aus der Teerstrasse eine Schotterstrasse und den Rest des Tages kämpfe ich mich von einigen harmlosen Stürzen unterbrochen über unbefestigte Wege. Zum Übernachten geht’s über Stock und Stein steil runter zu einem kleinen, scheinbar verlassenen See. Auf dem einsamsten Camping der Welt verbringe ich einen ruhigen Abend um mich dann am nächsten Tag wieder unglaublich viele Höhenmeter hinauf zu kämpfen. Jetzt geht’s so richtig durch die Berge. Wenig Verkehr, wunderbare Aussichten und steile Abschnitte prägen diesen Tag. Wie wunderbar, erreiche ich am späteren Nachmittag die Berghütte von Thierry- ein weiterer Warmshower Host.
Warmshower ist ein Weltweites Netzwerk von Velofahrfreunden, die sich gegenseitig Kost und Logie anbieten und dabei natürlich Erfahrungen und Erlebnisse austauschen. Eine sehr feine Sache!
Thierry ist der Mann für grossartige Routen-Empfehlungen: Wie ich schon auf der Anfahrt zur Hütte bemerken durfte, ist sein Geschmack für anspruchsvolle, landschaftlich kaum zu überbietenden Routen sehr erlesen. Er kennt den Balkan wie kein zweiter, da er die letzten Jahre damit zugebracht hat, den Weitwanderweg Via Dinarica und im Anschluss die (fast) gleichnamige Mountainbikeroute zu entwickeln und gross rauszubringen. Wer ein Abenteuer sucht: Via Dinarica/ Transdinarica empfehle ich euch zu 100%!
Nach einer verhältnismässig benutzerfreundlichen Etappe treffe ich am nächsten Tag an meinem nächsten grossen Ziel ein: Sarajevo!
Dank einer Glücksbekanntschaft in Mostar fahre ich entspannt auf einen der zahlreichen Hügel um die Stadt und lasse mir in der kleinen Bäckerei einen Wohnungsschlüssel aushändigen. Bald finde ich das dazugehörige Türschloss und mein Zuhause für die nächsten drei Tage. Wie sich bald herausstellt, werde ich nicht allein in der kleinen Wohnung zuhause sein, sondern es treffen bald zwei Spanier und ein belgisches Pärchen ein; alle rekrutiert von Mark, unserem niederländischen Gönner, der selbst zwei Wochen Urlaub geniesst.
Wir richten uns alle in dieser temporären WG ein und verbringen das entspannte Wochenende mit ausgedehnten Balkonfrühstücken, plaudern, Kleider waschen, dem Besuch von free walking tours in Sarajevo, kochen, (belgischem!) Bier trinken, Kaffees in der wunderbaren Altstadt besuchen und ausruhen.
Die drei Wochen «allein» unterwegs waren alles andere als einsam. Ich habe unglaublich viele unglaublich tolle Menschen getroffen, wunderbare Landschaften durchradelt, bin stolz auf meine Leistung, glücklich und dankbar, durfte ich das alles erleben!