Thierrys Route Teil 2
Thierrys Route Teil 2

Thierrys Route Teil 2

Die Piva- Hochebene wird begrenzt von dem Fluss Tara, die sich in einem grossen Bogen ein tiefes Tal gegraben hat. Das praktisch unbesiedelte Gebiet ist eine Welt für sich. Struppiges Grasland bedeckt weite, wellige Ebenen; tiefe Senkungen verraten den karstigen Untergrund. Immer wieder wechselt sich das Grasland mit kleinen, alpin wirkenden Mischwäldern ab. Knorrige Eichen und Tannen herrschen vor. Die weit verstreuten, einfachen Holzhäuschen mit ihren bunten Dächern erinnern uns an Schweden. Einige Schafherden streifen durch die Landschaft, begleitet von wettergegerbten Hirten- den letzten Hirten des Balkans- wie uns ein National Geografic Autor bei einer Kaffeepause in der einzigen Bar weit und breit erklärt. Der Spunten ist wohl ein Treffpunkt für genau diese Hirten. Letzte Nacht hat eine wilde Trinkerei stattgefunden und die Männer sitzen zufrieden und etwas restbetrunken um die Tische, rühren in ihren Espressos und lauschen entrückt ihrem Genossen, der auf einem brachialen Seiteninstrument ein klagendes, endloses Lied zum Besten gibt.

Die «Scenic Route 1» führt uns durch eine atemberaubende Landschaft und belohnt unseren Schweiss mit spektakulären Aussichten über die Berglandschaft des Durmitor Nationalparks. Das strohfarbene Gras kontrastiert fotogen mit der dunklen, gewundenen Strasse und den schroffen Felswänden.

Nach einer phänomenalen Abfahrt finden wir uns in der verschlafen-touristischen Welt um Zabljak wieder. Mittlerweile haben sich dunkle Wolken zusammengezogen und wir entschliessen uns, uns für heute ein Dach über dem Kopf zu leisten.

So finden wir uns wenig später in einer verzwickten Situation wieder. Mit einem höchst unangenehmen Gefühl im Bauch und einem Glas Rakia vor uns, stellen wir entsetzt fest, dass Dana ihr Zimmer wohl eigentlich gar nicht mehr vermietet, sondern aktuell selber da wohnt, das Zimmer nicht einfach ein Zimmer sondern ein ganzes Häuschen ist, sie nun samt ihrem Mann für eine Nacht in das winzige Haus dahinter umzieht und zu unserem Wohl innerhalb von zwei Stunden das ganze Haus aufräumen und putzen will. Für mich eine absolute Horror Situation. Das brauchen wir alles doch gar nicht! Das halbfertige Haus daneben würde den Zweck absolut erfüllen! Die hektische Frau lässt keine Wiederrede gelten und schliesslich bleibt uns nichts anderes übrig, als uns in unser «Glück» zu schicken, einen ausgedehnten Abendspaziergang zu machen und schliesslich unser neues Haus, in meinem Fall etwas widerwillig, zu beziehen. Es stellt sich heraus, dass es zwar kein Internet gibt, dafür aber im Fernseher ganze sechs Programme laufen. Fünf davon sind absolut unbrauchbar und unsere Pastasauce ist so scharf, dass sich das Abendessen nur mit einem Taschentuch in der Hand essen lässt.

Glücklicherweise gibt es das TV-Programm Nr. 6; heute mit dem Trash Zombie Film «Burying the Ex». Der Abend ist doch noch gerettet. Ach ja, Regen gabs dann schlussendlich doch keinen.

Am nächsten Tag erwartet uns die verdiente Abfahrt hinunter in die Taraschlucht. Der Verkehr nimmt schlagartig zu und unsere erste Abweichung von Thierrys Route beschert uns eine gute Abkürzung aber auch unangenehme 20 Kilometer auf einer engen, kurvenreichen Strasse, die wir mit Schwerverkehr, Wohnwagen und PW`s teilen.

Mit viel Adrenalin im Blut überstehen wir diese Strecke und finden uns gegen Abend ein nettes Plätzchen gleich neben der mittlerweile wieder angenehmen Strasse. Am frühen Morgen holt uns das befürchtete Regenwetter doch noch ein und so sitzen wir ein zusätzliches Weilchen unter einer Brücke, trinken Kaffee und buchen uns optimistisch eine Unterkunft in Podgorica, welches wir heute zu erreichen gedenken. Hach, wie naiv wir da noch waren!

Der Regen lässt nach und wir brechen auf. Heute liegen ca. 70 Kilometer und 600 Höhemeter vor uns- lässt uns Maps.me glauben. Das chinesische Infrastrukturprojekt (Belt and Road Initiative) ist in dieser Balkangegend ebenfalls präsent und wir umfahren diverse massive Strassenpfeiler, die in naher Zukunft die neue Autobahn balancieren werden. Die Baustelle ist zu unserem Vorteil- die kleine Strasse ist in wunderbarem Zustand und wir machen gut Strecke. Irgendwann entfahren wir aber dem Dunstkreis der nahenden Mobilität und die Umgebung wird ländlicher und alpiner mit jedem Kilometer. Bald ist Schluss mit dem netten Asphalt. Ein entgegenkommender Pole mit Ultralight- Ausrüstung und Mountainbike spricht uns eine Warnung aus: Steiles Gelände, eine wilde, unbefestigte Passstrasse, atemberaubende Landschaft und eine Strecke, die unmöglich in einem Tag zu bewerkstelligen sei erwarte uns. Flucht nach vorne ist angesagt und aus dem vermeidlichen gemütlichen Fahrtag wird eine kräftezehrende, absolut einzigartige Expedition. Während den nächsten Stunden schieben, schwitzen und staunen wir. Wir überstehen einige Regenschauer, Zucker- und Kräftetiefs und bewältigen manche Abschnitte nur mit vereinten (Schiebe-) Kräften. Als wir schliesslich die Passhöhe erreichen, ist es bereits früher Abend, die Wetterlage ist unsicher und wir benötigen beide dringend eine Pause und Nahrung.

Das Glück ist uns hold und dank meinem «Magic letter» öffnet uns ein montenegrinischer Älpler wie selbstverständlich eine unbenutzte Alphütte, in der wir für eine Nacht einziehen dürfen. Was für ein magischer Ort mitten in der Bergwildnis! Rund um die Alp sind angsteinflössende Schutzhunde stationiert, deren tiefes Bellen uns in den verdienten Schlaf begleitet.

Podgorica, die Hauptstadt von Montenegro, lassen wir am nächsten Tag bald hinter uns und nachdem wir die grosse, wenig attraktive Industrieebene durchquert haben, tauchen wir schon in die nächste magische Welt ein: Ein einziger Gebirgszug trennt uns jetzt noch vom Mittelmeer und dementsprechend mediterran ist das Klima plötzlich. Der riesige Skutarisee prägt das Landschaftbild und während dem gesamten nächsten Fahrtag laben wir uns an seinem Anblick.

Mittlerweile ist Albanien in Blickweite und damit auch Skutari, eine der grössten albanischen Städte und gleichzeitig der Endpunkt unserer gemeinsamen Fahrt. Diese letzte lange Fahrstrecke hoch über dem Seeufer hin zur albanischen Grenze ist ein absolut würdiger Abschluss unserer gemeinsamen Fahrzeit und ein weiteres landschaftliches Highlight.

Die Einfahrt im lebendigen Skutari am nächsten Vormittag fühlt sich nach all der durchfahrenen Wildnis und Abgeschiedenheit etwas surreal an. Skutari ist eine wahre Velostadt: Jung und Alt, Gross und Klein bewegt sich auf zwei Rädern fort. Spontan lasse ich mir von einem Mechaniker am Strassenrand einen neuen Veloständer montieren und mit all dem bunten und geschäftigen Treiben um uns, den offenen Werkstätten und chaotischen Läden fühle mich fast, also wären wir bereits in Kathmandu eingefahren.

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