Gate 13 und endlich etwas Rückenwind
Gate 13 und endlich etwas Rückenwind

Gate 13 und endlich etwas Rückenwind

Seit dem Tunnel von Preveza hat sich das Gesicht Griechenlands markant verändert! Plötzlich sind die Touristensiedlungen wie vom Erdboden verschluckt und an ihre Stelle treten Ziegenherden, kläffende Hofhunde und einsame Strässchen durch Graslandschaft, Felder und die obligaten Olivenhaine. Die Häuser sind spärlich und eher ärmlich und auf der erstaunlich gut ausgebauten Strasse der Küste entlang begegnen wir während Stunden keinem einzigen Auto. Vor kleinen, spektakulären Buchten sind Fischfarmen zu erkennen und sämtliche Nebenstrassen ziehen sich als rote Adern durch wild anmutendes Buschland.

Die Strecke der nächsten Tage ist spektakulär und fast täglich addieren sich die Höhenmeter auf nahezu 1000 Meter.

In der kleinen, ruhigen Ortschaft Mitikas knackt mein Kilometerzähler schliesslich die 3000 km- Marke.

Der Regen und Gewitter sind ständige Begleiter im Moment. Als wir die langgezogene Ortschaft Etoliko erreichen, ist es bereits am Eindunkeln, ein Gewitter zieht auf und die grossen Romagebiete am Stadtrand wirken nicht gerade einladend zum Wildcampen. Unsere beste Möglichkeit scheint es zu sein, direkt bei Leuten anzufragen, ob wir für eine Nacht unter dem Vordach unser Zelt aufschlagen dürfen. Die Suche gestaltet sich heute so schwierig wie noch nie. Wir teilen uns auf und klopfen an Privathäuser mit Vorgarten samt Überdachung. Nachdem wir uns schon fast geschlagen geben und zum teuren Hotelzimmer zurückfahren, haben wir doch noch Glück. Nikos hat uns zuvor schon gesehen und lädt uns spontan in seine Junggesellenwohnung ein. «I have no women, so no cleaning», meint er entschuldigend. Wir winken ab- «no problem», und sind dann doch etwas erstaunt über das Schmutzniveau. Nicos ist Arbeits- und wohl beinahe Mittellos und wir erschrecken etwas über die sehr karge Einrichtung der Wohnung. Die Küche ist ausser Betrieb, das Wasser offenbar sogar zum Kochen nicht sauber genug und ausser einem billigen Tisch, zwei Stühlen und einem zur Ablage umfunktionierten Couch befindet sich gar kein Inventar in der Stube. Die Regierung sei schlecht, sagt er. Noch immer kein gutes Wasser in den Häusern. Die vielen «Black People» seien ein Problem, meint er. Mit den «Black People» meint er die grosse Romabevölkerung des Ortes. Die sind hier offenbar wenig beliebt. Nicos Wifi trägt den netten Namen «Macedonia is Greece» und bestätigt unseren Eindruck, dass der gute Nicos- wohl aus perspektivenlosigkeit- arg nach Rechts gerichtet ist. Als wir ihm erzählen, dass wir von Griechenland aus in die Türkei weiterfahren, verzieht er angewidert das Gesicht und stöhnt.

Beim Hereinkommen sind uns die diversen grünen Kleber mit der Aufschrift «Gate 13» auf dem Sicherungskasten im Hauseingang aufgefallen. Nico ist eingefleischter Fussballfan und zwar vom Club Panathinaikos A.O. Das Gate 13 ist der Besammlungsplatz der (Ultras-) Fans vor den Spielen in Athen und gleichzeitig der Name des Fanclubs.

Während Nicos über die griechische Regierung nicht allzu viel Gutes zu sagen hat, ist er gleichzeitig schwer stolz auf sein Heimatland. Alexander der Grosse wird wiederholt erwähnt und eben- Macedonia is Greece.

In der Nacht regnet es in Strömen und wir sind Nicos extrem dankbar für seine Offenheit uns gegenüber und seine Gastfreundschaft.

Als ich Nicos am nächsten Morgen bei unserer gemeinsamen Ausfahrt zum örtlichen Ententeich mit einem Kompliment zu dem wunderschönen Ort aufzuheitern versuche, meint er traurig: «For Foto- beautiful. For living…. no beautiful.»

Das Gate 13 begleitet uns den ganzen nächsten Tag. Auf Strassentafeln, Hausfassaden, Steinbrocken am Wegrand- überall ist die Aufschrift präsent. Oft in einem andauernden battle mit dem Club des Gegnerteams, welche die Gate 13 Kleber mit ihren Klebern überkleben und die Tags übersprayen… Wir sind uns nicht ganz sicher, ob es hier wirklich nur um die Fussballclubs oder doch eher um die Vormacht der politischen Einstellungen geht.

Nach einer schwülen Fahrt durch das sattgrüne Hinterland und vielen Höhenmetern kommt die Brücke von Patras in Sicht. Die Autofähre bringt uns gratis nach Rio und somit auf die Halbinsel Peleponnes. Während den nächsten zwei Tagen fahren wir mit herrlichem Rückenwind dem Golf von Korinth entlang Richtung Athen, immer mit einigen Gewitterwolken im Schlepptau.

Plötzlich geht es ganz schnell: Um uns eine stundenlange Fahrt durch die Aussenquartiere von Athen zu ersparen, besteigen wir in Kiato einen Zug und fahren die verbleibenden 100 km bequem und schnell in das abendliche Athen.

Das Getöse und Gewimmel der Grossstadt verschluckt uns augenblicklich. Athen ist ein Schmelztiegel zwischen allen möglichen Welten. Unser Hostel liegt in einem extrem multinationalen Viertel. Möglicherweise landet hier so mancher zwischen, der sich von seinem fernen Heimatland nach Europa durchzuschlagen versucht. Indische Gewürz- und Süssigkeitenläden neben chinesischen Elektrogeräten, billigen Kleiderläden, Grillbuden, Besengeschäften, Wholesale-Hallen, und und und. Die wenigsten Menschen in den Geschäften und Strassen wirken besonders griechischstämmig und die Sprachfetzen bestätigen diesen Eindruck.

Ein erster nächtlicher Spaziergang durch die Stadt beeindruckt uns in vielerlei Hinsicht. Wir schlendern zuerst durch «unser» Quartier und fühlen uns wie in Indien oder Babylon höchstpersönlich. Dann zweigen wir in eine dunkle, menschenleere Seitengasse ab und nach einigen hundert Metern eröffnet sich vor uns eine ganz andere Seite von Athen: Einladende Beizen inklusive grossbauchige Beizenschreier, westliche, muschelschlürfende Touristen die der traditioniell-griechischen Livemusik lauschen, Gelächter, Lichterketten, Deko und eine Priese Hipstertum.

Wir schlendern weiter und finden uns bald unterhalb der beleuchteten Akropolis in einem etwas sonderlichen Gespräch mit Theos wieder. Theos ist ein grosser Mann mit lockigen Haaren und klaren Ansichten. Die erste und Wichtigste davon: «Macedonia is Greece. Because of Alexander the Great.”. Auch er ist mässig zufrieden mit der aktuellen Regierung, gleichzeitig aber sehr überzeugt von seinem Land. «Would you live in Greece your whole life?», fragt er uns wiederholt. Na ja. Wir beantworten die Frage mit diplomatischem Schulterzucken und erzählen ein wenig von unseren Reiseplänen. «Turkey?» Er verzieht das Gesicht und meint dann: «Don`t go to Turkey! They are Barbarians!» Barbarians? Das ist nun doch etwas zuviel und wir können nicht mehr ernst bleiben. «I am serious», doppelt Theos nach. «Don`t give them money. Not one Euro. It will support them.” Wir kichern mittlerweile ungehalten über die absurden Bemerkungen. «To give them money, it is crime agains humanity!», meint Theos nun.

Er und Nicos bleiben bei Weitem nicht die einzigen Griechen, denen wir begegnen, die ihr Misstrauen gegenüber den östlichen Nachbarn schon in kurzen Gesprächen kundtun.

Diese voreingenommenen Aussagen tragen zu unserem etwas kritischen Bild der Griechen bei. Obwohl sie in ihrem eigenen Land eine klare Grenze ziehen zwischen der Politik und ihrem eigenen Wesen, scheinen sie diese zwei Dinge für das Nachbarvolk grosszügig zu mischen. Noch die freundlichsten Menschen raten uns von einer Fahrt in die Türkei ab und scheinen sich ernsthaft Sorgen um unser Wohlergehen im Barbarenland zu machen.
Wir verabschieden uns vom freundlichen Theos und seinen wirden Thesen, stolpern in ein tolles Gassenkonzert von Mpalafas und verlassen Athen am nächsten Nachmittag mit der Fähre Richtung Samos.

One comment

  1. Brigitte Moser

    spannend, wie ihr griechenland erlebt – zeigt mir eine neue seite.
    und euer athen-tag – faszinierend! einfach so drauf los spaziert!

    morgen ist weidling versorgen! wir werden fest an euch denken!

    herzlichst brigitte

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