Nach zwei komfortablen Nächten in einem Hostel im Touristenhotspot Göreme, hängen wir eine ruhige Zeltnacht in einem winterdichten Café mitten im Park an. Das Rose Valley ist wenige Schritte entfernt, der Regen bleibt wieder Erwarten aus und wir geniessen die abendliche Magie des Ortes. Die Hauptsaison ist schon längstens vorbei hier- und trotzdem werden tagsüber ganze Busladungen von Reisegruppen ausgespuckt. Die Hauptattraktionen sind neben den obligaten Ballonfahrten Ritte durch das Rose-Valley, lärmende Quad-Fahrten und natürlich das Abarbeiten der diversen Selfie-Spots. Ein Besuch in Kappadokien steht verständlicherweise bei den meisten Türkeireisen ganz oben auf dem Programm. Wir versuchen uns auszumalen, wie es hier in der Hauptsaison zu und her geht und kommen schnell zum Schluss, dass wir uns glücklich schätzen, in der kälteren Jahreszeit hier zu sein.
Nach der Nacht im Park lassen wir diesen zwar hinter uns aber beschliessen, doch noch eine weitere Nacht in der Gegend zu bleiben. Wir machen einen Abstecher von unserer neu geplanten Route und fahren einen Umweg durch ein kleines Seitental. Wir werden nicht enttäuscht: Wir befinden uns wieder Welten weg vom Tourismusizirkus. Die kleinen Dörfer schmiegen sich an die Talflanken und jede der Ortschaften wächst richtiggehend in die Felsen hinein. Der Übergang von alten und neueren Gebäuden ist fliessend und so sind Hühnerställe, Lagerhallen oder auch ganze Wohnräume teilweise aus dem weichen Gestein herausgekratzt. Elegante Torbögen zeugen von längst vergangener Baukunst und die vielen zerfallenen Strukturen erzählen Geschichten von früher.
Wir erkunden einige der Höhlen und mehrstöckigen Felshöhlen und treffen auch hier auf russgeschwärzte Decken, Kammern, Kapellen, Treppen und Zwischenböden. Die Stadtflucht hat aber auch in der Türkei längst eingesetzt und solche Ortschaften auf dem Land wirken oft sehr ausgestorben und fast schon fluchtartig verlassen.
An diesem Abend entdeckt Louie für uns ein ausgehöhlter Felspylon, der uns für die Regennacht die perfekte Zuflucht bietet. Ganz allein im Nirgendwo, zwischen abgeernteten, steilen Traubenplantagen verbringen wir so eine ruhige Nacht.
Der Nächste Tag bringt viel Höhen- und Kilometer und erst beim Eindunkeln fahren wir in einem kleinen Dorf ein, um uns einen weiteren regenfesten Übernachtungsplatz zu finden. Das Timing könnte besser nicht sein: Beim Auffüllen der Wasserflaschen kündigt ein «Pffff»- Geräusch den ersten Platten der Reise an. Wir sprechen ein paar Jungs in einem kleinen Lebensmittelgeschäft an und schon werden wir durch die Gassen zu einer geschäftigen Teestube geführt. Es wird viel gestikuliert, wir verstehen kein Wort, aber hinter der Teestube gibt es einen leeren Raum, den wir offenbar benutzen dürfen. Abfall liegt herum, es ist schmutzig, aber der Raum ist perfekt; es gibt sogar fliessend Wasser und Strom. Während dem wir unser Zelt und unsere Küche einrichten, hämmert es viermal an die Metalltüre und verschiedene Männergruppen marschieren in unser Gemach. «Chef», wird einer von ihnen vorgestellt. Der nächste ist dann der «more Chef». Der Teestubenmensch lädt uns mehrmals zum Tee und Essen im geheizten Lokal ein. Wir beschliessen, die Einladung anzunehmen und trinken erst mal einen Tee im Lokal. Männer und Jungs jeden Alters sind da anzutreffen und in verschiedene Kartenspiele vertieft. Bald wird Louie von den Jungs dazu eingeladen und versucht sich die sehr unklaren Regeln zu erschliessen. Viel Gelächter ist vom Tisch zu hören. Später wollen wir unseren Hauptgang (Pasta-Käse-Gemüseeintopf) in der warmen Teestube einnehmen. Es braucht einige Überwindung, als wir feststellen, dass diese mittlerweile randvoll mit Männern ist, die sich über ihre Rummicub-Plättchen beugen. Rummicub, oder Okey, wie es hier genannt wird, wird im ganzen Land den ganzen Tag lang mit Inbrunst gespielt. Dazu trinken die Männer Tee und mit ernsthaften Stirnfalten werden die Mitspieler in schnellen Spielzügen lahmgelegt.
Die Spielkultur hier in der Türkei ist beeindruckend. Auch junge Männer sind in den Spiel- und Teelokalen anzutreffen und widmen sich entweder Okey oder je weiter östlicher wir kommen desto häufiger einer Partie Backgammon. Natels sucht man dann vergeben und auch der Alkoholkonsum ist inexistent. Tee und Spiele ist die Devise.
In der geheizten Teestube ist es für uns viel zu warm und so ziehen wir uns bald in unser Hinterzimmer zurück. Der nächste Besuch lässt nicht lange auf sich warten. Wieder hämmert es an der Tür und plötzlich stehen zwei Polizisten im Raum. Draussen blinkt das Polizeiauto vor sich hin und wir haben keine Ahnung, wie diese Besucher einzuordnen sind. Die Polizisten begutachten kurz unser Zelt, das einrädrige Velo von Louie, unsere Küche und verlangen dann unsere Pässe. Englisch kann Keiner uns so erklärt Louie bald am Natel einem freundlich-kritischen Polizisten unsere Situation. «Nein, es ist nicht zu kalt für uns. Nein, wir wollen nicht in ein Hotel gebracht werden. Ja, es geht uns gut wo wir sind. Ja, wir fühlen uns hier sicher. Nein, ein Hotel ist wirklich nicht nötig.» Nach einigem Hin- und Her sind die besorgten Offiziellen dann tatsächlich überzeugt von unserem Wohlbefinden und ziehen ab.
Der nächste Besuch lässt uns aus dem Schlaf hochschrecken, da meine `Alarmanlage` ein schepperndes Geräusch von sich gibt. Louie übernimmt die Kommunikation mit den Eindringlingen und stellt bald fest, dass es sich dieses Mal um ein nettes, junges Päärchen handelt, welches uns um elf Uhr nachts zum Abendessen einladen will. Auch hier ist Überzeugungskraft gefragt und schliesslich einigen wir uns auf ein gemeinsames Morgenessen.
Frisch gestärkt und um eine sehr warme Begegnung reicher, machen wir uns am nächsten Morgen mit geflicktem Pneu auf den Weg Richtung Tahtali- Gebirge. Die Sonne verdrängt den Nebel der vergangenen Tage und bald eröffnet sich die Sicht auf den über 3100 Meter hohen, schneebedeckten Bey Dag. Heute liegt ein über 2000 Meter hoher Pass vor uns und wir geniessen jeden Meter dieser wilden Strecke. Erst in der Abenddämmerung erreichen wir die Passhöhe und für die eiskalten Abfahrt sind viele Kleiderschichten von Nöten.
Nach diesem spektakulären Tag schlagen wir unser Nachtlager einige hundert Höhenmeter tiefer im Hof einer Moschee auf. Eine ruhige Nacht wird es auch hier nicht- Louie verbringt zwei Stunden vor dem Zelt und sitzt präventiv Wache- doch am Morgen zerstreut sich unser nächtliches Misstrauen schnell. Der Murtar (= Dorfvorsteher) lässt es sich nicht nehmen, uns zum Morgenessen einzuladen. So sitzen wir auch heute Morgen neben einem warmen Ofen und geniessen Brot mit Ei, Oliven, Käse, Tomaten, Wurst und dem obligaten Schwarztee.
Wir sind gestärkt für einen neuen Tag- so glauben wir zumindest.